Klett-Themendienst Nr. 106 (05/2022)

Eine Task-Force ist gegründet. Sie soll helfen, die Eingliederung von Kindern und Jugendlichen aus der Ukraine an den Schulen zu koordinieren. Hofft die Kultusministerkonferenz. Doch wie so oft – die Lösung der Aufgabe liegt doch in den Händen der Schulen selbst.

Noch gibt es keine Probleme. Sagen Helmut Klemm und Clemens Wilhelm. Fast wortgleich fügen der Leiter der Eichendorffschule in Erlangen (Bayern) und sein Kollege von der Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen (Saarland) hinzu: „Wir sind es ja gewöhnt, zu improvisieren und kreative Antworten auf die Herausforderungen zu finden.“ Beide machen deutlich, dass die Situation in der akuten Phase des Zuzugs geflüchteter Menschen seit 2014 eine „ganze andere Größenordnung dargestellt hat.“

Noch sind Schüler:innen aus der nahegelegenen Ukraine an diesen beiden Schulen die Ausnahme. Doch man weiß dort auch: Die Zahlen werden steigen. „Das spüren wir seit Ende der Osterferien“, berichtet Wilhelm. Sieben Kinder waren es bis zu den Ferien, weitere folgten unmittelbar danach. Seine Schule, die sich ohnehin durch einen bunten Mix an Nationalitäten und Kulturen auszeichnet, weiß, worauf es jetzt ankommt. „Die Kinder sollen von Anfang an spüren, dass sie willkommen sind und in unsere Gemeinschaft aufgenommen werden“, berichtet er. Dabei helfe die Vorerfahrung extrem. Das Kollegium habe die Fähigkeit, sich auf jede und jeden Einzelnen einzustellen und zu erkennen, was der Mensch benötige. Helmut Klemm bündelt dies in einem Stichwort: „Zuwendung.“

Online-Lernangebote aus der Heimat

Der Blick auf die soziale Komponente versperrt nicht die Sicht aufs Lernen. Deutsch als Zweitsprache steht für die neuen Mitschülerinnen und Mitschüler ganz oben auf der Agenda. Dies lernen sie in eigenen kleinen Lerngruppen. „Ansonsten integrieren wir sie in die Regelklassen“, schildert Klemm. Ebenso verfährt die Ganztagsgemeinschaftsschule Neunkirchen: „Denn Ankommen heißt auch Begegnung in der Klassengemeinschaft.“ Im Sport- und Kunstunterricht etwa stellen fehlende Deutschkenntnisse eine überwindbare Hürde dar.

Um diese auch im Fachunterricht meistern zu können, sollen auch die Angebote von Schulen und Lehrkräften aus der Ukraine genutzt werden. Denn viele bieten aus der Ferne Online-Unterricht an. Wilhelm: „So bleibt der Kontakt zu den vertrauten Lehrerinnen und Lehrern aus der Heimat erhalten und die Kinder erzielen trotz der Krise Lernfortschritte.“ Damit sie diesen Weg einschlagen können, will die Gemeinschaftsschule ihnen hauseigene Tablets zur Verfügung stellen. Wilhelm: „Auch für die Arbeit in ihrem derzeitigem zuhause.“ Viele von ihnen sind bei Freunden oder Bekannten untergekommen. Sie stellten häufig auch den Kontakt zur Schule her.

„Wir sind vorbereitet“

Benötigen und wünschen sich die Schulen mehr Unterstützung von Bund, Land und Stadt? Antwort: Die Kommunikation kann optimiert werden. „Wir wissen nicht, wie viele Kinder zu uns kommen werden. Das erschwert die Planung“, gesteht Klemm. Ansonsten sei Unterstützung seitens der Stadt „noch“ nicht erforderlich: „Wir sind ja auf die Beschulung von Kindern mit wenig Deutschkenntnissen vorbereitet.“ Er räumt aber auch ein: „Auf 20 eventuell traumatisierte Schüler:innen sind wir nicht vorbereitet und ich kann auch noch nicht abschätzen, ob uns das überfordern würde“, meint der Leiter der von 400 Kindern und Jugendlichen besuchten Schule.

Als ausgesprochen hilfreich empfindet er den städtischen Sprachmittlerdienst. Insbesondere, wenn es um den Austausch mit den Eltern geht. Die deutlich größere Gemeinschaftsschule in Neunkirchen (1000) nutzt dafür Personen aus ihrem großen, selbst aufgebauten Netzwerk. In der Schule selbst übernehmen häufig russisch sprechende Jugendliche diesen „Job“.

Mancherorts herrscht Unmut

In der Schulleiterkonferenz, einem regelmäßigen Treffen der Grund- und Mittelschulen, hörte Helmut Klemm von einer Grundschule, die bereits 18 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat. „Eine ganz andere Hausnummer als bei uns“, ordnet er das ein. An einer anderen Grundschule eines anderen Bundeslandes ist die Zahl ähnlich hoch. Dort regiert Frust. „Wir hören kaum etwas von Stadt und Land. Frei nach der Devise, die machen das schon“, sagt die Leiterin der Einrichtung. Sie möchte anonym bleiben. Sie macht aus ihrem Herzen keine Mördergrube: „Da helfen mir keine Task-Force der Kultusministerkonferenz und ein Hinweis, dass jede Schule frei wählen könne, ob sie Kinder in Regelklassen, in Integrationsklassen, in eigenen Gruppen einteile, nicht. Diese ,Freiheit` ist nichts anderes als sich aus der Verantwortung zu stehlen.“ Als noch ärgerlicher empfindet eine Kollegin aus NRW die Situation: „Wir werden alleine gelassen, haben die Arbeit und dürfen dafür die übrig gebliebenen Corona-Schnelltests zählen und für den Rücktransport zusammenpacken. Wir haben wirklich Wichtigeres zu tun.“

DAZ-Lehrkräfte dringend gesucht

Einig sind sich Helmut Klemm und Clemens Wilhelm, dass dringend mehr Lehrkräfte mit der Qualifikation, Deutsch als Zweitsprache (DaZ) zu vermitteln, erforderlich sind. Doch der Markt ist leergefegt. Zur Freude der Schulen existiert inzwischen viel Lehrmaterial dazu. So nutzen die Schulen Sprachlernprogramme der Schulverlage, neue dafür konzipierte Bücher und Software. „Logisch“ lautet der Titel eines Werkes, das etwa in Neunkirchen eingesetzt wird. Die Mittelschule Erlangen reduziert die wöchentliche Unterrichtszeit der Hinzugekommenen, damit sie ausreichend Zeit finden, sich in die für sie neue Sprache zu vertiefen.

Die Bereitschaft, die aus dem Kriegsgebiet Geflohenen zu unterstützen, ist enorm und vielfältig. So kamen bei einer Spendenaktion in Neunkirchen schnell 3200 Euro zusammen. Initiiert hatte das Ganze Finn – ein Fünftklässler. Ohne Diskussionen erklärte sich der Förderverein der Neunkirchener Schule bereit, die Kosten für das Essen der Flüchtlingskinder zu tragen. Große Symbolkraft entwickelt auch das Friedenslied der Erlanger Mittelschule. Immer mittwochs um 9.50 Uhr erschallt via Schullautsprecher John Lennons Song „Imagine“. Das verbindet, spürt der Schulleiter und weiß, dass dies auch erforderlich sein wird. Schließlich rechnet die Kultusministerkonferenz mit bis zu 400.000 Schüler:innen aus der Ukraine.

Autor: Stefan Lüke

Kompakt
Ukrainische Kinder und Jugendliche sollen an deutschen Schulen möglichst schnell integriert werden. Das hat die Präsidentin der Kultusministerkonferenz Karin Prien, bekräftigt. Das Erlernen der deutschen Sprache und die Integration in das deutsche Schulsystem habe Priorität. Der Online-Unterricht der ukrainischen Seite stelle lediglich eine ergänzende Maßnahme dar. Für die erwarteten Schüler:innen aus der Ukraine werden rund 24.000 zusätzliche Lehrkräfte benötigt. Sagte Prien der Deutschen Presse Agentur (dpa). Mancherorts wird erwogen, pensionierte Lehrer:innen zu reaktivieren.

Buchtipp:
Mit „Mein Willkommensheft – Deutsch als Zweitsprache“ bietet der Verlag für ukrainische Kinder mit wenig oder keinen Deutschkenntnissen erste Hilfe für die Verständigung in der neuen Schule. Es kann kostenlos im https://www.Grundschul-Blog.de des Verlags heruntergeladen werden.

Weitere Materialien der Klett Verlage zum Ukrainekrieg finden sich gebündelt unter: https://ernst-klett-verlag.de/krieg-in-der-ukraine-internationale-konflikte-als-unterrichtsthema/