Klett-Themendienst Nr. 119 (12/2023)

Wirtschaftsthemen spielen in der Schule eine wichtige Rolle. Die Frage, ob sie eigenständig oder in Verbindung mit anderen Fächern unterrichtet werden sollen, ist die eine – eine andere ist, wie Kinder und Jugendliche überhaupt einen Zugang zu alltagspraktischen Wirtschaftsthemen in Schule finden.

Was steckt hinter Biosiegeln? Nach welchen Kriterien wählt man sein Bankkonto aus? Welche Tücken und Hürden gibt es bei Handyverträgen? Das sind Fragen, mit denen sich Schüler:innen des Hamburger Albrecht-Thaer-Gymnasiums beschäftigen. Dabei arbeitet die Schule mit der Verbraucherzentrale zusammen, für ihr Engagement wurde sie bereits mehrfach mit dem bundesweiten Titel „Verbraucherschule“ ausgezeichnet. „In Schleswig-Holstein gibt es Verbraucherbildung als eigenständiges Schulfach, das haben wir in Hamburg leider nicht. Durch die Kooperation mit der Verbraucherzentrale können wir wichtige Fragen kompetenter im Unterricht behandeln“, sagt Lehrer Matthias Drieschner und fügt hinzu: „Wir wollen niemand in eine bestimmte Richtung drängen, sondern ermöglichen, dass jeder Schüler gut informiert eine bewusste Entscheidung trifft.“

Wie stark Schule auf praktische Dinge des Alltags vorbereiten muss und in welchem Fach, darüber gab und gibt es immer wieder Streit – und die Antworten fallen in den verschiedenen Bundesländern ganz unterschiedlich aus. Baden-Württemberg gilt als Vorreiter, seit es 2016 „Wirtschaft/Berufs- und Studienorientierung“ als verpflichtendes Schulfach an den allgemeinbildenden weiterführenden Schulen eingeführt hat – vorher war ökonomische Bildung Teil des Faches Gemeinschaftskunde. In Nordrhein-Westfalen wurde 2020 in der Sekundarstufe I „Politik/Wirtschaft“ in das Fach „Wirtschaft-Politik“ überführt und damit eine inhaltliche Akzentverschiebung beschlossen. In Bayern und Thüringen steht das Fach „Wirtschaft und Recht“ auf dem Stundenplan.

Themen on top

Wirtschaftsverbände fordern immer wieder bundesweit ein eigenständiges Schulfach Wirtschaft. Als eigenes Fach wird Wirtschaft auch an der Oberschule Bodenwerder in Niedersachsen unterrichtet, eine Stunde à 60 Minuten von der Klasse 7 bis 10. Anfangs geht es um Themen wie Konsum und Arbeit, Verbraucherbildung oder die Rolle des Staates im Wirtschaftsprozess. „Ein neues Fach macht die Siebtklässler neugierig, sie sind hochmotiviert und interessiert an Fragen, wie zum Beispiel versucht wird, Bedürfnisse zu beeinflussen“, sagt Konrektorin Nadine Steinführer, die die Fächer Wirtschaft, Politik, Geschichte und Erdkunde unterrichtet.

Bei älteren Schüler:innen gehören Themen wie Globalisierung oder das Sozialversicherungssystem zum Programm – nicht selten reagieren sie genervt („Das hatten wir doch schon“), wenn in einzelnen Fächern nacheinander verschiedene Aspekte eines Themas beleuchtet werden. „Wir wollen künftig stärker in Projekten arbeiten und dabei Wirtschaft, Politik, Geschichte und Erdkunde mehr verzahnen. Ich kann mir gut ein fächerübergreifendes Arbeiten vorstellen – es gibt aber auch skeptische Kolleginnen und Kollegen, die befürchten, dass ihnen wichtige Kenntnisse in dem Fach fehlen, das sie nicht studiert haben“, sagt Steinführer.

„Wir müssen sorgfältig auswählen, welche Themen zum Unterricht passen“

Der Zusammenhang von Politik und Wirtschaft erschließt sich für Schüler:innen auch bei Themen wie die Europäische Union. „Das ist eine sehr komplexe Institution, die für die Jugendlichen durch Themen wie den Brexit mit spannenden Fragen verbunden ist. Für sie ist es von großer Bedeutung, unter welchen Bedingungen sie zum Beispiel die Großeltern in Italien besuchen, Waren aus Großbritannien bestellen oder später einmal im europäischen Ausland arbeiten können“, berichtet Steinführer.
Sie kennt auch die Klagen, wonach in der Schule mehr vermittelt werden müsste, worauf bei einem Handyvertrag zu achten sei oder wie man eine Steuererklärung auszufüllen habe. Steinführer betont, dass man sich durchaus im Unterricht mit lebenspraktischen Dingen wie die erste eigene Wohnung, private Schulden oder den online-Handel beschäftige, aber angesichts der begrenzten Zeit und der Fülle des Stoffes nicht alle Fragen in der Oberschule angesprochen werden könnten. „Mit der Steuererklärung hat man als Auszubildender zu tun, deswegen könnte sie im Rahmen der Ausbildung exemplarisch erstellt werden“, schlägt sie vor.

„Schülern bleibt Wirtschaft verschlossen, wenn wir ihren Standpunkt nicht mit einbeziehen“

Die Schüler:innen bei ihren Interessen abholen und Wirtschaftsfragen nicht nur theoretisch behandeln – das ist auch der Ansatz von Swantje Becker, Lehrerin für Mathematik, Politik-Gesellschaft-Wirtschaft und Geschichte in Hamburg: „Ich lasse bei der Thematik Produktivitätssteigerung gern aus Büroklammern und Washi Tape kleine Klemmlesezeichen fertigen. Zunächst baut jeder eins und stoppt die Zeit. Man rechnet hoch: Wie viele schaffen wir dann in fünf Minuten? Dann werden Teams gebildet und die Arbeit in Schritte zerlegt. Alle Teams übertreffen die errechneten Zahlen locker. Man kann überlegen: Wie könnte man jetzt noch besser werden?“ Becker, die auch als Autorin für den Ernst Klett Verlag tätig ist, ist von einer lebensnahen Einordnung in einem abwechslungsreichen Unterricht überzeugt: „Schülern bleibt Wirtschaft verschlossen, wenn wir ihren Standpunkt nicht mit einbeziehen. Wirtschaft erleben sie eigentlich nur als Konsumenten. Selbst die Arbeitswelt liegt für sie in der Regel noch in der Zukunft.“

„Aktien, Anleihen, Devisen – Unternehmen transportieren eigene Interessen ins Klassenzimmer“

Welche Interessen gibt es auf Seiten von Unternehmensleitung und Beschäftigten, wie werden Konflikte ausgetragen – auch das sind Fragen, auf die eingegangen wird. Solche Inhalte möchten Befürworter eines reinen Faches Wirtschaft gerne aus dem Unterricht raushalten – davon ist Tim Engartner überzeugt, Professor für Sozialwissenschaften mit dem Schwerpunkt ökonomische Bildung an der Uni Köln. Er beruft sich dabei auf Konzepte der Deutschen Gesellschaft für ökonomische Bildung, nach denen es im Fach Wirtschaft vor allem um die Vermittlung von Kompetenzen in den Themenfeldern „Finanzielle Bildung“ (mehr Wissen über Aktien, Anleihen, Devisen und Derivate) und „Entrepreneurship Education“ (mehr unternehmerisches Denken) gehen soll. Themen wie Einkommens- und Vermögensverteilung werden in diesem Konzept dagegen nicht erwähnt. Für Engartner steht fest, dass Wirtschaft von Politik nicht losgelöst unterrichtet werden könne, was sich aktuell zum Beispiel bei der Gaspreisbremse zeige.

Kritisch blickt er auch auf die zahlreichen Unternehmen, die selbst mit viel Aufwand Unterrichtsmaterialien erstellen und Schulen kostenlos anbieten und so versuchen, ihre Interessen ins Klassenzimmer zu transportieren. Mittlerweile haben Gewerkschaften eigene Materialien veröffentlicht, damit Themen wie Betriebsrat, Tarifverhandlungen und Tarifvertrag nicht zu kurz kommen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen warnt vor einseitigen Darstellungen – er bewertet Schulmaterialien von Unternehmen und Verbänden unter www.verbraucherbildung.de/materialkompass.

Text: Joachim Göres

Kompakt
Wirtschaftsverbände fordern bundesweit ein eigenes Schulfach Wirtschaft und argumentieren mit unzureichenden Kenntnissen von Jugendlichen, wenn es um Themen wie Finanzen geht. Befürworter des gemeinsamen Unterrichts von Politik und Wirtschaft betonen dagegen den engen inhaltlichen Zusammenhang und befürchten, dass in einem eigenständigen Fach Wirtschaft überwiegend die Unternehmerperspektive vermittelt wird. Fachlehrerinnen berichten von einem großen Interesse gerade jüngerer SchülerInnen an wirtschaftlichen Themen, wobei der Bezug zur eigenen Lebenswelt eine große Rolle spiele.

Buchtipp:
Die ökonomische Grundbildung mit der praktischen Arbeitswelt verknüpft der kürzlich vom Netzwerk Schulewirtschaft ausgezeichnete eCourse Starke Seiten Wirtschaft. In dem interaktiven und multimedialen Lernkurs erwerben Schüler:innen der Klassen 5-10 grundlegende Kenntnisse und Kompetenzen zu allen relevanten Wirtschaftsthemen.
Link: https://www.klett.de/produkt/isbn/ECM00247DKA12