Klett-Themendienst Nr. 120 (02/2024)

Lange wurde das Schulsystem dafür kritisiert, dass es durch Leistungsdruck Kinder und Jugendliche krank macht. Statt bloßer Leistungsorientierung steht nun die Förderung der Gesundheitskompetenz im Fokus, um Schülerinnen und Schülern das Rüstzeug für ein gesundes Leben mit auf den Weg zu geben.

Gesundheit als eigenes Schulfach – diese Forderung wird in letzter Zeit immer häufiger erhoben. Dabei wird auf nicht ausreichende Kenntnisse und gesundheitliches Fehlverhalten von Schülerinnen und Schülern verwiesen. Welche Rolle das Thema derzeit in den Lernzielen und in der Praxis spielt und wie es um die digitale Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen bestellt ist, haben in jüngster Zeit verschiedene Studien in den Blick genommen. Ihre Ergebnisse wurden bei der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention in der Medizinischen Hochschule Hannover vorgestellt und diskutiert.

Deutlich wird: Gesundheit wird in den Bildungsplänen der Bundesländer häufig erwähnt. Die Internistin Jana Jünger, wissenschaftliche Direktorin des Heidelberger Instituts für Kommunikations- und Prüfungsforschung, hat mit einem Team bei einer Literaturrecherche auf den Webseiten der Bildungsministerien 280 Lernziele zur Gesundheitskompetenz festgestellt. Dabei geht es inhaltlich vor allem um eine gesunde und umweltfreundliche Lebensweise, um Präventionsmaßnahmen und den Schutz vor UV-Strahlung. Dagegen befassen sich nur wenige Lernziele mit den gesundheitlichen Herausforderungen des Klimawandels. Als typisches Beispiel zitiert Jünger die Lehrplanerläuterungen zum Thema „Alltagskompetenzen – Schule fürs Leben“ des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus aus dem Jahr 2022: „Die Schülerinnen und Schüler hinterfragen ihr persönliches Essverhalten und nutzen ihr Wissen über die Zusammenhänge zwischen Gesundheit, Ernährung, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude, um einen gesunden, verantwortungsbewussten Lebensstil zu entwickeln.“

Mädchen und Jungen lernen viel über das Herz-Kreislaufsystem, aber nicht, wie man den Puls fühlt oder erste Hilfe leistet.

Laut Jünger spielen Gesundheitsthemen in Fächern wie Biologie, Chemie, Physik und Gemeinschaftskunde eine Rolle, wobei es bei der Vermittlung von Kompetenzen oft keine Abstimmung zwischen den Fachlehrkräften gebe. In den Lehrbüchern sieht sie eine Tendenz zu mehr Anwendungsorientierung als früher und kritisiert gleichzeitig: „Die persönliche Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler wird zu wenig beachtet. Man spricht über Themen wie gesundes Frühstück, setzt es aber kaum in der Praxis um. Mädchen und Jungen lernen viel über das Herz-Kreislaufsystem, aber nicht, wie man den Puls fühlt oder erste Hilfe leistet.“ Unterstützung bekommt sie von Praktikern – jüngst haben die Ärztekammer Niedersachsen und die Johanniter-Unfall-Hilfe verpflichtende Erste-Hilfe-Kurse für alle niedersächsischen Siebentklässler gefordert.

Mehr digitale Gesundheitskompetenz notwendig

In der aktuellen Diskussion geht es auch um die digitale Gesundheitskompetenz von Schülerinnen und Schülern. Laut einer aktuellen Studie der Technischen Universität München und der Hochschule Fulda suchen Kinder und Jugendliche vor allem im Internet nach Gesundheitsinformationen. Dabei dreht es sich vor allem um die Themen Bewegung sowie Gewicht und Figur – jeweils rund ein Drittel sucht mindestens einmal die Woche dazu digitale Ratschläge. Fragen nach Medikamenten und psychischen Problemen spielen bei jedem Zehnten eine Rolle. Das ist das Ergebnis einer Befragung aus dem Jahr 2022 unter 1448 Kindern und Jugendlichen der Klassen 5 bis 10 aus verschiedenen Schultypen und Bundesländern hinsichtlich ihrer digitalen Gesundheitskompetenz.

Viele der Befragten zeigten sich selbstkritisch: Sie gaben sich selbst schlechte Noten, wenn sie ihre Fähigkeiten zur Bewertung der Qualität der Informationen, zur Navigation im Internet sowie ihren Umgang mit dem Datenschutz einschätzten. Die Hälfte gab an, in der Schule digitale Gesundheitskompetenz zu erlernen – besonders gut bewerteten sie Schulen in Thüringen und Schleswig-Holstein, am schlechtesten schnitten bayerische Schulen ab. Das Urteil der Forscher: 53 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler zeigen eine geringe digitale Gesundheitskompetenz. „Kinder und Jugendliche mit geringem familiärem Wohlstand oder niedrigem Bildungsgrad weisen häufiger eine geringe Gesundheitskompetenz auf“, ergänzt Orkan Okan, Leiter der Professur Gesundheitskompetenz an der TU München und Mitgründer der Allianz „Gesundheitskompetenz und Schule“.

Dr. Internet & Co.

Emese László und Katharina Rathmann vom Fachbereich Gesundheitswissenschaften der Hochschule Fulda haben 2021 online 361 Kinder und Jugendliche der Klassen 6 bis 13 zu ihrem Umgang mit Informationen zum Corona-Virus befragt. Rund 60 Prozent von ihnen gaben an, regelmäßig auf der Suche nach digitalen Informationen zum Virus gewesen zu sein. Mit Ausnahme der Gymnasiasten räumte mehr als die Hälfte der Befragten Schwierigkeiten bei der Einordnung der gefundenen Informationen ein.

Die große Bedeutung des direkten Kontaktes zu einer Vertrauensperson und dabei auch zu Lehrkräften unterstreicht die repräsentative Studie „Jugendsexualität“ der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung aus dem Jahr 2019. Auf die Frage „Welches waren für Sie die wichtigsten Personen bei der Aufklärung über sexuelle Dinge?“ nennen 14- bis 17-jährige Mädchen an erster Stelle die Mutter, gefolgt von der besten Freundin sowie einer Lehrerin des Vertrauens. In Elternhäusern mit Migrationshintergrund wird im Durchschnitt seltener über Sexualität gesprochen – für Jungen aus diesen Familien sind nach dem besten Freund Lehrkräfte bei dieser Frage die wichtigsten Ansprechpartner, deutlich vor den eigenen Eltern. Informationen über die „Pille danach“ und die kostenlose Abgabe der Antibabypille bekommen Mädchen mit Migrationshintergrund vor allem aus der Schule.

Jüngers Fazit fällt so aus: „Es fehlen Studien, in denen die Gesundheitskenntnisse von Schülerinnen und Schülern tatsächlich überprüft werden.“ Ihre Meinung zu einem eigenen Schulfach Gesundheit: „Wir wissen nicht, ob das besser wäre.“ Zu ergänzen wäre: Inwieweit hat das Wissen um gesundheitliche Gefahren und die Art der Vermittlung Einfluss auf das eigene Verhalten?

Joachim Göres

Kompakt
Krankenkassen und Ärzteverbände fordern angesichts vermehrter Krankheiten bei Kindern und Jugendlichen immer häufiger ein eigenes Schulfach Gesundheit. Verschiedene Studien stellen fest, dass Gesundheit schon heute in den Bildungsplänen ein wichtiges Thema ist und in verschiedenen Fächern eine Rolle spielt. Dabei sei allerdings eine bessere Abstimmung zwischen den Fachlehrkräften und ein größerer Praxisbezug nötig. Zudem müssten Schülerinnen und Schüler besser im Umgang mit digitalen Medien geschult werden, um im Internet gefundene Gesundheitsinformationen besser einordnen zu können.

In Baden-Württemberg gibt es seit dem letzten Lehrplanwechsel an den mittleren Schulformen das Fach Alltagskultur, Ernährung und Soziales. Dieses wird in den Klassen 7 bis 10 unterrichtet und behandelt im Schwerpunkt auch die Themen Ernährung und Gesundheit. Mit dem Lehrwerk starkeSeiten Alltagskultur, Ernährung und Soziales ist nun eine vollständig überarbeitete Neuausgabe erschienen. Damit setzen sich Schülerinnen und Schüler in verschiedenen Kapiteln mit wichtigen Gesundheitsbegriffen auseinander und lernen medizinische Vorsorge- und lebensrettende Sofortmaßnahmen kennen.