Klett-Themendienst Nr. 121 (03/2024)

Beratungslehrkräfte versuchen Schülern, Eltern und Kollegen bei Problemen zu helfen. Oberstes Gebot ist Vertraulichkeit. Neben der Beratung spielt Prävention eine große Rolle. Ein Besuch auf dem niedersächsischen Kongress für Beratungslehrkräfte in Hildesheim.

Stressbewältigung, Autismus, Prüfungsangst – Workshops zu diesen Themen waren kürzlich beim Kongress für Beratungslehrkräfte in Hildesheim stark gefragt. Dort trafen sich mehr als 300 Beratungslehrerinnen und Beratungslehrer aus verschiedenen Schulformen, die bei Problemen als Ansprechpartner für Kinder, Jugendliche, Eltern sowie für Kollegen bereitstehen.

Ein Klassentraining sorgt für ein besseres Miteinander

„Ausgrenzung ist ein Thema, das immer wieder in der Beratung auftaucht“, sagt Beratungslehrerin Dörte Dembski-Minnsen von der Grundschule Sittensen und nennt ein Beispiel: „Schüler gründen in ihrer Klasse eine Whatsapp-Gruppe und verwehren einzelnen Kindern den Zugang.“ Wer zu ihr in die Sprechstunde kommt, will häufig aus Scham nicht, dass das Problem im größeren Kreis besprochen wird. „Jeder kann sich auf meine Schweigepflicht verlassen, ich gebe Informationen nur weiter, wenn Betroffene dem zustimmen. Mit der Zeit erkennen sie, dass sich nur etwas ändern lässt, wenn mit allen Beteiligten darüber geredet wird“, sagt Dembski-Minnsen. Sie legt Wert darauf, dass beim Besprechen von Mobbingfällen auf Schuldzuweisungen verzichtet wird – und dass es nicht mit der einmaligen Behandlung in der Klasse getan ist: „Zu unserer Methode gehört in solchen Fällen ein Klassentraining, damit es zukünftig nicht wieder zu Mobbing kommt.“

Für einen besseren Umgang miteinander wird künftig an der Grundschule Sittensen in allen Klassen wöchentlich eine Stunde Soziales Lernen unterrichtet. Dafür wird bei Kunst, Mathematik und Sachkunde gekürzt. „Das haben wir in der Gesamtkonferenz so einstimmig entschieden, mit den Stimmen der Eltern“, sagt Dembski-Minssen und fügt hinzu: „In die Beratung kommen inzwischen auch immer mehr Eltern wegen häuslicher Probleme zu uns.“

Geringere Frustrationstoleranz, mehr Rücksichtslosigkeit

Die Bedingungen für den Unterricht an ihrer Grundschule in Walsrode haben sich verschlechtert, berichtet die Beratungslehrerin Kerstin Pfeiffer-Leschnikowski. Darunter litten viele Kinder, zusätzlich spielten andere Faktoren eine Rolle. „Neben den Themen Prüfungsangst und Konflikte in der Klasse geht es auch oft um Eltern, die sich trennen. Einige Kinder kommen immer wieder, viele haben ganz große Bedürfnisse“, sagt die erfahrene Pädagogin. Ihr Rat wird auch von anderen Lehrkräften gesucht – weniger bei pädagogischen Problemen, sondern eher wegen mangelnder Wertschätzung, wenn man sich zum Beispiel bei der Stundenverteilung benachteiligt fühlt.

Pfeiffer-Leschnikowski arbeitet in einem Beratungsteam mit zwei Schulsozialarbeiterinnen zusammen. Zu ihrem Angebot gehört ein so genanntes Palaverzelt. Dort können zwei miteinander in Streit geratene Kinder nach festen Regeln über den Konflikt und ihre Gefühle  sprechen, ihre Wünsche formulieren und zusammen überlegen, wie eine Lösung aussehen könnte, auf die man sich einigen kann.

„Um arbeitsfähig zu bleiben, werden Störer aus dem Unterricht rausgeschmissen, was zur Ausgrenzung beiträgt

Aus Sicht von Michael Pedrotti, Beratungslehrer an der Kooperativen Gesamtschule Tarmstedt bei Bremen, stehen Lehrkräfte oft vor einem Dilemma: „Um arbeitsfähig zu bleiben, werden Störer aus dem Unterricht rausgeschmissen, was zur Ausgrenzung beiträgt. Im Kampf gegen Mobbing wäre es dagegen wichtig, Schülern positive Erfahrungen mit Vielfalt zu vermitteln.“ Nach seinen Worten konnten sich Mobbing-Opfer in der Corona-Zeit vielfach erholen, weil sie seltener in der Schule waren und mehr in Kleingruppen gearbeitet wurde.

Christian Bock, einer von zwei Beratungslehrern an einer berufsbildenden Schule in Hildesheim mit rund 1.000 Schülern, setzt auf Prävention, in dem er Themen von sich aus anspricht. „Für die neuen Berufsschüler gestalten wir Beratungslehrer zusammen mit zwei Sozialpädagogen einen Vormittag zum Thema Suchtmittel. Das findet ohne andere Lehrer statt und die Schüler berichten offen über ihren Konsum. Durch solche Veranstaltungen wächst Vertrauen und manche Jugendlichen kommen später auch zur Einzelberatung“, sagt Bock. Dabei gehe es um Themen wie Prüfungsangst, Konflikte in der Klasse, Trauer bei einem Todesfall.

Bock informierte sich auf dem Kongress über die Legalisierung von Cannabis in Deutschland. „Für alle unter 18 ändert sich nichts, Cannabis bleibt verboten. Schulen sollten das ganz klar machen und auch über negative Folgen des Konsums auf die Gehirnentwicklung bei jungen Leuten informieren“, sagt Patrick Wentorp von der Finder Akademie aus Berlin. Er stellte das Lebenskompetenz- und Suchtpräventionsprogramm Rebound vor (www.rebound.schule). Nach seinen Worten sollte versucht werden, offen über Cannabis zu sprechen, die Gründe für das Interesse daran zu erfahren und zu zeigen, wie man sich auch auf andere Weise entspannen könne.

Wie Beratungslehrer ihre eigene Bedeutung einschätzen: Wir sind nicht der Schulleitung verpflichtet, verfügen über psychosoziales Wissen und sind vernetzt.

Wie Beratungslehrer ihre eigene Bedeutung einschätzen: Wir sind nicht der Schulleitung verpflichtet, verfügen über psychosoziales Wissen und sind vernetzt.

Mediensüchte frühzeitig erkennen

Katajun Lindenberg, Professorin für Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie an der Uni Mainz, betonte in ihrem Eröffnungsvortrag die Bedeutung der Schule, um Mediensüchte zu erkennen. Sie empfiehlt Selbsttests für Schüler (z.B. www.dia-net.com) oder Vereinbarungen zum Medienverhalten (z.B. www.mediennutzungsvertrag.de). Ihr grundsätzlicher Rat an Lehrkräfte: „Fragen Sie das psychische Wohlbefinden ab. Oft fängt Suchtverhalten an, wenn es in der Schule schlecht läuft.“ Nach einer aktuellen DAK-Studie nutzt fast jeder Vierte im Alter von 10-17 Jahren Social-Media-Dienste wie Tiktok, Instagram oder Whatsapp riskant viel, bei 6,1 Prozent könne von einer Sucht gesprochen werden.

Der Bedarf an Beratung ist einfach so groß

1973 hatte die Kultusministerkonferenz eine Empfehlung verabschiedet, wonach bis 1985 ein Beratungslehrer für je 500 Schüler zuständig sein soll. Für diese Tätigkeit sollten wöchentlich fünf Stunden auf die Unterrichtsverpflichtung angerechnet werden. Die Umsetzung sieht je nach Bundesland sehr unterschiedlich aus. In Sachsen soll an jeder Schule ein Beratungslehrer berufen werden. In Nordrhein-Westfalen können Schulleiter darüber entscheiden, ob für Beratungslehrer ein Bedarf besteht – dort gibt es rund 1500 ausgebildete Beratungslehrer. Die Qualifizierung neben dem Beruf dauert in Schleswig-Holstein ein Jahr, in Baden-Württemberg eineinhalb Jahre, in Niedersachsen zwei Jahre. In vielen Bundesländern ist das Interesse von Lehrkräften an einer Weiterbildung größer als die Zahl der Plätze. In Niedersachsen unterrichten Beratungslehrkräfte pro Woche drei Stunden weniger als andere Lehrer. Dembski-Minssen: „In der Realität verwende ich auf diese Arbeit mehr als die doppelte Zeit. Der Bedarf an Beratung ist einfach so groß.“

Text: Joachim Göres