Beim Frei Day suchen Schülerinnen und Schüler selbstständig nach Lösungen für eines der 17 UN-Nachhaltigkeitsziele. Der Klett Themendienst hat einer Schule dabei über die Schulter geschaut.
Rund 30 Kinder aus der dritten Klasse sitzen im Foyer der Grundschule Vorbrück im niedersächsischen Walsrode auf dem Boden im Kreis. In ihrer Mitte liegen Bilder, die sie selbst gemalt haben. Als Motiv haben sie sich eines der 17 Ziele zur nachhaltigen Entwicklung der UN ausgesucht – jetzt schauen sie sich gemeinsam ihre Kunstwerke an und überlegen, um welches Thema es konkret geht. Auf dem Bild von Lena sind Mädchen beim Fußballspielen und Jungen zu sehen, die Ballett tanzen. Zunächst bleiben die Finger unten, dann hat Emilio eine Idee: „Gleichberechtigkeit.“ Klassenlehrerin Elisabeth Okon lobt Emilio für seinen Vorschlag, korrigiert nur ein paar Buchstaben und liefert weitere Beispiele als Erklärung für diesen abstrakten Begriff, mit dem nicht alle Kinder etwas anfangen können: „Gleiche Berufschancen, gleiche Bezahlung von Frauen und Männern.“
Thores Bild zeigt ein Windrad und die Sonne. „Saubere Energie“ lautet der Kommentar, der von mehreren Schüler:innen kommt. Shanin hat ein Mädchen mit einem Lolli in der Hand gemalt, auch ein Brot und ein Obstkorb sind zu sehen. Lea weiß, worum es geht: „Kein Hunger.“ Nachdem alle Bilder besprochen wurden, sammeln Lara und Tudor die Blätter ein und die beiden dritten Klassen gehen in ihren jeweiligen Klassenraum zurück, um sich einen Film zu den Global Goals anzuschauen. Darin werden noch einmal die 17 Ziele vorgestellt, die laut UN bis 2030 verwirklicht werden sollen. „Jedes Kind sucht sich alleine drei für sich besonders wichtige Ziele aus und überlegt, warum sie so wichtig sind “, lautet die Anweisung der Klassenlehrerin, die hinzufügt: „Und danach kommen immer drei SchülerInnen zusammen und erzählen sich gegenseitig, warum sie sich für die Ziele entschieden haben.“ Besonders häufig werden genannt: Kein Hunger, keine Armut, Schutz der Tiere.
Die Grundschule Vorbrück ist eine von bundesweit 111 so genannten Frei Day Schulen, die sich mit besonderem Projektunterricht im Bereich der Bildung für nachhaltige Entwicklung engagieren (siehe www.frei-day.org). Ausgangspunkt sind die Global Goals der Vereinten Nationen, die 2012 auf der UN-Konferenz in Rio de Janeiro beschlossen wurden. Grundgedanke des Frei Day ist, dass Kinder und Jugendliche sich mit selbstgewählten gesellschaftlichen oder ökologischen Herausforderungen beschäftigen, dabei neue Perspektiven kennenlernen, Lösungen entwickeln und sie eigenständig vor Ort umsetzen. Die Lehrkräfte stehen dabei als Berater bereit. Es wird klassenübergreifend und in Teams gearbeitet. Die Stunden für den Frei Day sind kein zusätzlicher Unterricht, sondern andere Fächer sollen Stunden abgeben. Das Ziel: Kinder und Jugendliche sollen erleben, dass sie trotz drängender Probleme etwas zum Positiven verändern können.
„Es geht um ein ernstes Thema und darum, was wir tun können“
An der Grundschule Vorbrück läuft der Frei Day seit 2020 in der 3. und 4. Klasse. „Die Eltern finden das gut“, sagt Schulleiterin Ursula Delventhal und fügt hinzu: „Dabei spielt eine Rolle, dass wir am Fachunterricht nichts gekürzt haben, denn es gab immer wieder Konflikte mit Eltern, die gegen weniger reguläre Stunden sind.“ Und so findet der Frei Day immer donnerstags nachmittags statt – einer von zwei Tagen in der Woche, an dem Unterricht bis 15.30 Uhr für alle SchülerInnen Pflicht ist. Auch von anderen Vorgaben weicht man teilweise ab. So stehen wöchentlich nur zwei und nicht wie von den Frei Day-Organisatoren gewünscht vier Stunden Projektunterricht auf dem Plan. Einen jahrgangsübergreifenden Unterricht wird es erst in Zukunft geben – noch läuft der Frei Day in den 3. und 4. Klassen getrennt ab.
Dabei ist bei den älteren Kindern zu spüren, dass sie mit der besonderen Arbeitsweise schon länger vertraut sind. Leonie-Sophie und Tarja aus der Klasse 4 entwerfen am Tablet ein Plakat, mit dem sie ihr Projekt den Mitschüler:innen vorstellen wollen: Sie züchten Zwerghühner und wollen so bedrohte Tierarten schützen. Dafür haben sie ein Gehege gebaut und Hühner gekauft, die Küken ausbrüten. „Wir kümmern uns jeden Tag um die Hühner. Ich finde so ein Projekt gut, denn es geht um ein ernstes Thema und darum, was wir tun können“, sagt Leonie-Sophie und Tarja ergänzt: „Das ist etwas anderes als Mathe oder Deutsch.“
Avasin und Irina widmen sich dem Oberthema Frieden. Sie nervt es, dass sich in ihrer Klasse manche Jungen gegenseitig beleidigen und es nicht selten sehr laut ist. Das thematisieren die beiden Mädchen in ihrem Plakat, das sie in der Pausenhalle aufhängen wollen – es geht darum, wie man Konflikte friedlich lösen und gewalttätigen Streit vermeiden kann. „Es ist sehr schön, wenn man sich ein Thema aussuchen und mit jemandem zusammenarbeiten kann, den man mag. Wir haben Spaß an unserer Arbeit und freuen uns, dass es in der Klasse jetzt weniger Streit gibt“, sagt Avasin. Lian arbeitet in einer Dreiergruppe. Die drei Jungen sammeln Pfandflaschen in der Stadt und wollen so etwas gegen die Umweltverschmutzung tun. Das Geld, das sie dabei einnehmen, kommt den verschiedenen Projekten in der Klasse zugute, zum Beispiel für den Kauf von Vogelfutter. „Das Sammeln macht Spaß. So ein Unterricht ist toll, weil wir nicht so viel schreiben müssen“, sagt Lian.
Dabei wird Wert daraufgelegt, Experten von außen miteinzubinden. Die Kinder besuchten die Walsroder Tafel und sammelten durch den Verkauf von Spielzeug auf einem Flohmarkt Geld für die Arbeit der Tafel. Marie Winkelmann von der Abfallwirtschaft des Heidekreises hat im Frei Day in der Schule über Themen wie sauberes Wasser und Müll gesprochen. An verschiedenen Stationen konnten Schüler:innen Samen in selbstgebastelte Töpfe pflanzen und ausprobieren, welcher Abfall in welche Mülltonne gehört. „Die SchülerInnen können Müll richtig sortieren und schaffen es, nichts in die Gegend zu schmeißen. Schwieriger ist für sie, Müll zu vermeiden“, sagt Jannika Vesper. Die Lehrerin leitet in einer 4. Klasse den Frei Day, wobei sie betont: „Ich bin in einer anderen Lehrerrolle als sonst. Ich mache Anregungen, gebe aber nichts vor. Einige Kinder haben viele Ideen für ihr Projekt, andere versucht man durch Fragen auf Ideen zu bringen. Vielen kommt entgegen, dass sie nicht die ganze Zeit stillsitzen müssen, sondern sich frei bewegen und mit den anderen Kleingruppen in Kontakt kommen können.“ Ihr Fazit: „Durch die Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit sind die Schüler:innen aufmerksamer, was ihre direkte Umwelt betrifft.“
Text: Joachim Göres
Kompakt
17 nachhaltige Entwicklungsziele haben die Mitglieder der Vereinten Nationen 2012 beschlossen, zum Beispiel weniger Armut und weniger Hunger. Diese Ziele sollen bis 2030 erreicht werden. In dem Projekt Frei Day überlegen sich Schüler:innen in kleinen Teams ein konkretes Thema aus einem dieser 17 Oberthemen, das sie vor Ort umsetzen können. Das Ziel: Mädchen und Jungen sollen erleben, wie sie trotz drängender gesellschaftlicher und ökologischer Herausforderungen selbst etwas Positives bewirken können.
Buchtipp:
Anregungen für mehr Nachhaltigkeitsthemen in Schule und Unterricht bieten die kürzlich mit dem dpr Award ausgezeichneten eCourses „Projekt Nachhaltigkeit“. Sie enthalten zu allen Entwicklungszielen der UN vielfältig Materialien und Projektideen für die Klassen 3 bis 10. Weitere Informationen unter http://www.klett.de/projekt-nachhaltigkeit