Verwaiste Schulen, einsame Schulleitungen. In Zeiten der Corona-Krise müssen auch sie umdenken – sie führen ihre Schule von zuhause aus. Und sammeln wertvolle Erkenntnisse. So auch Tjark Ommen (45). Er leitet die Kooperative Gesamtschule im niedersächsischen Schwarmstedt.
An normalen Tagen sind Sie von rund 1400 Schülerinnen und Schülern sowie 120 Kolleginnen und Kollegen umgeben. Jetzt ist die Schule leer. Wie fühlen Sie sich?
Einsam. Mir fehlen alle. Es ist beängstigend ruhig. Niemand kommt, niemand fragt, nichts. Ich erfülle gemeinsam mit meinem Leitungsteam unsere Präsenzpflicht. Immer einer von uns. Es fühlt sich komisch an.
Ferien haben Sie keine. Die Schule muss weiter strukturiert werden, Schülerinnen und Schüler mit Hausaufgaben gefüttert, die Kommunikation im Kollegium aufrechterhalten werden. Wie gelingt das?
Wir haben früher schon vieles per Mail kommuniziert – zumindest im Leitungsteam. Jetzt gilt das für alles. Fürs Kollegium, für die Eltern und natürlich unsere Schülerinnen und Schüler. Doch es gibt einen gravierenden Unterschied. Bislang wurden ausschließlich Sachinformationen geschrieben. Es fand kein Austausch dazu statt. Und Persönliches oder gar Kritisches wurde nicht auf diesem Weg ausgetauscht.
Ihre Schule wurde von jetzt auf gleich von der Krise durchgeschüttelt. Wie gestalteten sich die ersten Tage für Sie als Schulleiter daheim?
Es gab einen Verdachtsfall. Das Gesundheitsamt rief an und alle mussten sofort gehen. Es gab keine Chance der Absprache mehr. Ich habe mich dann entschieden, dem Kollegium von außen Halt und Orientierung bieten zu wollen. Ich habe offen angekündigt, dass ich jetzt einen etwas „militärischen“ Ton anwende. Es gibt anders als üblich keine Zeit für Diskussionen. Ich habe Aufgaben verteilt, klare Fristen gesetzt – etwa bis wann Hausaufgaben für die Schülerinnen und Schüler auf der Homepage zu stehen haben. Das Motto war: „Es wird gemacht, was ich sage.“ Ausnahmsweise, ansonsten sind wir ein sehr diskutierfreudiges Team.
Und Ihr Kollegium war begeistert?
Begeistert – soweit würde ich nicht gehen. Aber viele haben signalisiert, dass sie es begrüßen, klar geführt zu werden. Beschwert hat sich keiner. Aber die Inhalte haben sich verändert. Viele reagierten emotional, gaben sehr persönliche Rückmeldungen. Ich würde sagen, dass unser Team in der räumlichen Distanz enger zusammengerückt ist.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Kolleginnen und Kollegen Ihre Nachrichten auch zeitnah lesen und Ihre Wünsche umsetzen?
Ich habe vorgegeben, dass sie mehrfach täglich ihre Mails abrufen. Wir alle haben eben nicht frei und müssen einsatzbereit sein. Das funktioniert. Damit wir sicher sein können, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben erreichen und etwa nicht abrufen können, weil sie ihr Passwort vergessen haben, stellen wir diese auf unserer Schulhomepage und nicht im Intranet ein.
Schule besteht aus mehr als Inhalten
Wird Schulleitung auch nach der Krise digitaler geprägt sein?
In einem Punkt denke ich schon. Wir werden sicher darüber nachdenken, Aufgabensammlungen stärker im Netz zu er- und zusammenzustellen. Dann sind wir für ähnliche Fälle gerüstet und können das Gesammelte auch nutzen, um unseren Schülerinnen und Schülern zu sagen, an welchen online abrufbaren Dingen sie arbeiten können – selbst wenn der eigentliche Unterricht, etwa aus Krankheitsgründen der Lehrkraft, ausfällt. Die entsprechende technische Ausstattung existiert schließlich seit einigen Jahren an unserer Schule.
In Ihrer Antwort schwingt ein Aber mit…
Digitales Lernen wird den Stellenwert bekommen, den es verdient. Es ist ein gutes Hilfsmittel, aber kein Personenersatz. Niemals wird ein YouTube-Video, so gut es auch sein mag, die Beziehung und die Orientierung ersetzen, die Menschen möglich machen. Schule besteht aus mehr als Inhalten. Das spüren wir gerade alle.
Das gilt auch für das Kollegium untereinander?
Absolut. Wenn ich der Kollegin eine Mail schreibe, kann ich nicht in ihr Gesicht sehen, erkenne nicht, ob sie mich verstanden hat, ob sie mit etwas einverstanden oder eben nicht ist. Ich kann darauf nicht unmittelbar reagieren, so wie ich es tun kann, wenn wir am Besprechungstisch sitzen oder uns zwischen Tür und Angel unterhalten. So gesehen hat die Krise sogar etwas Positives. Als Schulleitung lernen wir gerade, wie wichtig dieser direkte Kontakt und das miteinander sind. Ich denke, viele von uns werden von der Devise „Privates bleibt außen vor“ abweichen.
Gibt es andere Erkenntnisse?
Auch für das Kollegium ist die Wertigkeit zwischenmenschlicher Beziehungen gestiegen. Bei uns hat sich die Hälfte nach Ausbruch der Krise in einer WhatsApp-Gruppe zusammengeschlossen. Und wir freuen uns darauf, uns schon hoffentlich bald wieder einmal berühren oder beim Abschied umarmen zu können.
Mehr digital bedeutet oft auch mehr Stress in Sachen Datenschutz…
Zum Glück ist in dieser Hinsicht bei uns nichts passiert. Problematisch ist nur, dass die Kolleginnen und Kollegen bis zum 15. April die Quartalsnoten für die Schülerinnen und Schüler geben müssen. Sie können natürlich nicht per Mail schreiben „Klaus Meier hat eine fünf in Mathe.“ Wir haben dafür schon vor der Krise eigene Anträge erarbeitet, in denen das Kollegium genau darstellt, welche Geräte es zuhause nutzt, welche Verschlüsselung etc. So haben wir das Problem gelöst.
Wie sehen unsere Schulen und ihre Leitung nach der Krise Ihrer Meinung nach aus?
Ich glaube, die Schulen werden nach der Krise sehr ähnlich weiter arbeiten wie vorher. Eventuell wird man sich in den Kollegien auf solche Notfälle besser vorbereiten, weil man jetzt weiß, dass so etwas passieren kann. Der große Unterschied wird jedoch darin liegen, dass wir das persönliche miteinander sehr viel mehr zu schätzen wissen werden als wir es bisher getan haben. Ich persönlich freue mich sehr darauf, meine Schülerinnen und Schüler und mein Kollegium wieder um mich herum zu haben.
Die Fragen stellte: Stephan Lüke
Tjark Ommen
Kompakt
Die Bundesländer reagierten unterschiedlich schnell auf die Coronavirus-Krise. Seit rund zwei Wochen sind alle Schulen und Kindertageseinrichtungen geschlossen. Allerdings sind sie dazu verpflichtet, täglich erreichbar zu sein und eine Notbetreuung anzubieten. So heißt es in Nordrhein-Westfalen etwa: „Die Einstellung des Schulbetriebes darf nicht dazu führen, dass Eltern, die in unverzichtbaren Funktionsbereichen – insbesondere im Gesundheitswesen – arbeiten, wegen der Betreuung ihrer Kinder im Dienst ausfallen. Deshalb muss in den Schulen während der gesamten Zeit des Unterrichtsausfalls ein entsprechendes Betreuungsangebot vorbereitet werden. Hiervon werden insbesondere die Kinder in den Klassen 1 bis 6 erfasst.“ Für Schulleitungen bedeutet dies, die Schule weitgehend von zuhause aus zu führen und gleichzeitig, zumindest mit einer Person präsent zu sein.
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