Klett-Themendienst Nr. 95 (11/2020)

Petra Breuer-Küppers (58) ist ausgebildete Lehrerin für Biologie und Musik in der Sekundarstufe I und hat lange an einer Realschule, einer Gesamtschule und einer Förderschule unterrichtet. Nach einem Zusatzstudium der Sonderpädagogik und einem Magister in Psychologie und Erziehungswissenschaften arbeitet sie seit vier Jahren an der Hans-Dieter-Hüsch-Schule in der Nähe von Mönchengladbach, die größte Schule für kranke Kinder und Jugendliche in Deutschland. Die Schule befindet sich auf dem Gelände der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters in Viersen-Süchteln, die die 190 Schülerinnen und Schüler mehrere Wochen bis zu mehreren Jahren stationär aufnimmt, unter anderem wegen Depressionen, Schulangst, Psychosen, Drogenmissbrauch oder Magersucht.

Wie sieht bei Ihnen ein typischer Schultag aus?

Bei uns werden immer zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet. Ich bin Klassenlehrerin in der 9./10. Klasse und dort für alle Fächer zuständig, also zum Beispiel auch für Wirtschaft, Ethik, Geschichte und Physik. Wir sind zwei Lehrkräfte und haben zusammen etwa 20 Jugendliche, vom Sonderschüler bis zum Gymnasiasten. Wir teilen deswegen die Klasse in den Kernfächern Mathe, Deutsch und Englisch in eine schwächere und eine stärkere Gruppe und wir können zwei nebeneinander liegende Räume benutzen. Der Unterricht beginnt um 8 und läuft bis 12.05 Uhr, wobei jeder Schüler seinen eigenen Stundenplan hat. Zur ersten Stunde kommen Schüler zum Beispiel mit einer Soziophobie, die sich in einer Gruppe nicht wohlfühlen und mit denen wir uns einzeln oder zu zweit beschäftigen. Zur zweiten Stunde kommen dann die anderen. Wir machen anfangs immer eine Runde um zu erfahren, wie es jedem geht. Manchmal sind einige so geladen, dass sie gleich explodieren könnten, darauf müssen wir Rücksicht nehmen. Es gibt Jugendliche, die ausrasten, Krämpfe bekommen oder akuten Gesprächsbedarf haben. Deswegen ist es wichtig, dass wir zu zweit in der Klasse sind und auf solche Einzelfälle direkt reagieren können, ohne den Rest zu vernachlässigen. Um aber keinen falschen Eindruck aufkommen zu lassen: Bei uns in der Klasse wird viel gelacht und die Jugendlichen nehmen erstaunlich viel Rücksicht aufeinander.

In Ihrer Klasse sind Jugendliche aus ganz Deutschland, die nach ganz unterschiedlichen Lehrplänen unterrichtet wurden. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Sie sollen nach dem Klinikaufenthalt ja wieder in ihre vertraute Umgebung zurückkehren, deswegen unterrichten wir hier nach den Vorgaben der Heimatschule. Das bedeutet, dass wir viel differenzieren und zum Beispiel Klassenarbeiten von einzelnen Schülern schreiben lassen, die die Heimatschule ausgearbeitet hat. Am Ende des Aufenthalts bei uns bekommt die Heimatschule einen langen Bericht und wir geben auch Noten, die die Heimatschule übernehmen kann, aber nicht muss. Wir versuchen einen engen Kontakt durch Telefonate oder Mails zu halten. Das geht mit einigen Schulen sehr gut, mit anderen weniger. Nicht selten haben wir das Gefühl, dass Schulen froh sind, schwierige Schüler losgeworden zu sein und darauf hoffen, dass sie nicht zu ihnen zurückkehren. Wenn Jugendliche an ihrer alten Schule gemobbt wurden oder dort mit Drogen zu tun hatten, dann kann ein Schulwechsel sinnvoll sein. Bei uns fühlen sich viele Schüler erstmals von Lehrkräften ernst genommen. Es ist schön zu sehen, wenn sie langsam selbstbewusster werden und lernen, mit Stress besser zurechtzukommen. Viele schaffen es so, in ihrer alten Schule wieder Fuß zu fassen.

Sie haben für den Klett-Verlag die Reihe „Deutsch Training Plus“ mitkonzipiert und Schüler-Arbeitshefte für die Klassen 5 bis 10 geschrieben. Dort geben Sie unter den Stichwörtern Augentraining, Hörtraining oder Lesestrategien konkrete Tipps für Aufmerksamkeits- und Konzentrationsübungen, die Schüler der Jahrgänge 5/6 am Beispiel verschiedener Märchen, Fabeln, Sagen, Gedichte, Jugendbuchtexte und Sachtexte ausprobieren und überprüfen können. Inwieweit sind dabei Ihre Erfahrungen in Ihrer jetzigen Schule miteingeflossen?

Viele meiner Schüler haben große Probleme, sich zu konzentrieren, längere Texte zu erfassen und zu schreiben. Wenn Jugendliche sehen, dass ein Text zwei DIN-A-4-Seiten umfasst, dann sind sie oft schon bedient und fühlen sich durch die Länge erschlagen. Bei uns liest jeder einen kleinen Abschnitt laut vor, sie können nach schwierigen Wörtern fragen, wir haben Arbeitsblätter zum Inhalt mit unterschiedlichem Schwierigkeitsgrad vorbereitet. Und wir haben von dem Text eine zweite Version in einfacher Sprache für diejenigen, die das Original überfordert. So machen wir es auch zum Beispiel mit der Satire „Nur nicht alles gefallen lassen“ von Gerhard Zwerenz, mit der wir in unserer Klasse zum Thema „Gewaltspirale“ gearbeitet haben und die sich im Heft für die Jahrgänge 9/10 befindet – wir haben die ausgewählten Hefttexte zuvor bei uns im Unterrichtet getestet. Es geht darum den Schülern zu zeigen, wie man in kleinen Schritten an einen Text rangeht und dass sie oft schon mehr können als sie vermuten.

Inwieweit hat sich durch die Corona-Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Aus Sicherheitsgründen bleiben die Kinder und Jugendlichen aus den einzelnen Klinik-Abteilungen auch im Unterricht als Gruppe zusammen. Ich unterrichte derzeit also nicht in den Klassen 9/10, sondern habe die Gruppe der Jugendlichen aus der Drogen-Reha ab der 7. bis zur 12. Klasse. Vom Lernen her ist es günstiger, die Gruppen zu mischen, denn die lebhafteren Kinder und Jugendlichen ziehen die anderen mit, die zum Beispiel eine Depression haben. Außerdem müssen wir gegenwärtig darauf achten, dass niemand das Desinfektionsmittel nimmt, um sich damit zu verletzen oder es als Drogenersatz missbraucht. Insgesamt muss man aber sagen, dass unsere Schüler mit Maskenpflicht und Abstandhalten ganz gut zurechtkommen.

Das Interview führte Joachim Göres

Kompakt
Petra Breuer-Küppers unterrichtet Kinder und Jugendliche, die wegen psychischer Probleme mehrere Wochen bis zu mehreren Jahren in einer Klinik behandelt werden. Dabei hat sie in ihrer Klasse mit Lernenden von der Förderschule bis zum Gymnasium aus unterschiedlichen Jahrgängen zu tun, die aus verschiedenen Bundesländern stammen und nach den Vorgaben ihrer jeweiligen Heimatschule individuell unterrichtet werden müssen. Breuer-Küppers bereitet deswegen ihre Stunden mit Material für verschiedene Niveaustufen vor. Da viele ihrer Schülerinnen und Schüler Konzentrationsprobleme haben und mit längeren Texten schwer zurechtkommen, hat sie als Hilfestellung Aufmerksamkeits- und Konzentrationsübungen entwickelt, die sich auch in der von Breuer-Küppers mitkonzipierten Klett-Reihe „Deutsch Training Plus“ finden.

Buchtipp:
Das Schülerarbeitsheft Deutsch Training Plus 5/6 fördert das Lese- und Hörverstehen. Um die Aufmerksamkeit und Konzentration beim Lesen und Zuhören zu verbessern, unterstützt Deutsch Training plus Lese- und Hörverstehen mit kleinschrittigen und zielführenden Übungen, Lesetechniken, Augen- und Hörtrainings sowie passenden Lösungen. Der dreischrittige Aufbau „Verstehen – Üben – Prüfen“ unterstützt den nachhaltigen Lernerfolg.
https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-217969-4