Schülerinnen und Schüler sind mit ihrer Nutzung von sozialen Medien oft unzufrieden und erhoffen sich Hilfestellung im Unterricht. Der Verein „Journalismus macht Schule“ vermittelt dafür Journalisten in Schulen.

Staatskanzlei Hannover. Anke Pörksen, Regierungssprecherin des kürzlich zurückgetretenen niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil, stellt sich den Fragen von 25 Schülerinnen und Schülern. Was denken Sie darüber, dass Jugendliche oft nur Social Media-Kanäle nutzen? Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf? Welche Tipps haben Sie für Schüler, die sich für die Pressefreiheit einsetzen wollen?

Jörg Sadrozinski hat die Jugendlichen auf die Pressekonferenz vorbereitet. Der erfahrene Journalist und ehemalige Leiter von tagesschau.de ist Vorsitzender des Vereins „Journalismus macht Schule“ und besucht regelmäßig Schulklassen. An diesem Mittwoch stimmt er in der Wilhelm-Raabe-Schule Hannover Schülerinnen und Schüler zunächst ausführlich auf das Thema Pressefreiheit ein: „Ein wesentlicher Punkt bei der Beurteilung der Frage, wie es mit der Pressefreiheit bestellt ist: Wird auch die Position der Gegenseite dargestellt?“

Grundlagen des Journalismus vermitteln

Dann geht es um den Besuch bei der Regierungssprecherin. Wie informiert man sich, wer die Gesprächspartnerin ist? Was interessiert euch an der Person? Was könnte für euer Publikum von Interesse sein? Stellt bei der Einleitung eines Gesprächs lieber offene als geschlossene Fragen. Achtet auf die Antworten und fragt nach, statt nur vorbereitete Fragen abzuspulen. Braucht ihr Ton- und Bildaufnahmen, benötigt ihr Fotos, soll das Ganze eine Reportage, ein Portrait oder ein Bericht werden? Wer von eurer Gruppe möchte welche Aufgabe übernehmen?

Workshop für Schülerinnen und Schüler vor Ort

An dem Workshop nehmen Schülergruppen verschiedener Schulen in Begleitung einer Lehrkraft teil. Mathe- und Informatiklehrer Christian Dirkes betreut an der Realschule Wedemark die Schülerzeitung. Die gab es einst in gedruckter Form. Inzwischen treffen sich rund 15 Mädchen und Jungen aus den Klassen 5-7 einmal die Woche in einer neuen Schülerzeitungs-AG, um eine online-Ausgabe vorzubereiten. „Die Schüler wählen die Geschichten, über die sie schreiben, nach ihren Interessen aus. Es geht vor allem um Schulveranstaltungen und schulische Einrichtungen wie die Bücherei, aber auch um Themen wie das örtliche Tierheim“, sagt Dirkes.

Von der Integrierten Gesamtschule Georg Lichtenberg aus Göttingen machen fünf Jugendliche beim Workshop mit. „Bei uns gab es lange keine Schülerzeitung. Wir haben vor einiger Zeit mit einer gedruckten Ausgabe angefangen, die 50 Cent kostete. Die wurde auch gut verkauft, die zweite Ausgabe lief dann nicht mehr so gut“, sagt Hanna aus der 7. Klasse und fügt hinzu: „Inzwischen produzieren wir einen Blog, außerdem hängen wir unsere Texte an Wänden in der Schule auf.“ Das Ganze nennt sich „Georg bloggt“. Hier findet man Texte über das Schulleben, aber auch Artikel über „Warum kein Fleisch essen“ oder über die in ihren Lebensbedingungen bedrohte grüne Meeresschildkröte. Mit „Georg bloggt“ kann man schnell reagieren – schon kurz nach dem Workshop in Hannover erfahren Interessierte, was die Redaktion an dem Tag erlebt hat.

Den richtigen Umgang mit sozialen Medien trainieren

Auch die IGS selber nutzt Social Media verstärkt. „Wir haben einen eigenen Instagram-Auftritt, mit dem wir über unsere Veranstaltungen informieren“, sagt Sebastian Wartini, Lehrer für Deutsch und Darstellendes Spiel. Nach seiner Einschätzung wird in den Klassen 5 und 6 vor allem WhatsApp genutzt, bei älteren Schülerinnen und Schülern ist TikTok und Instagram verbreitet. Der Umgang mit sozialen Medien wird an der Göttinger IGS im Fach Medienerziehung in einer Doppelstunde alle zwei Wochen thematisiert. In Thüringen gibt es seit diesem Schuljahr ein eigenes Fach Medienbildung und Informatik.

Sadrozinski hat allerdings bei seinen Besuchen in Schulen den Eindruck, dass die sinnvolle Nutzung des Smartphones dort nicht ausreichend trainiert wird. „Schüler sind oft sehr unzufrieden mit ihren Erfahrungen in den sozialen Medien. Angesichts des riesigen Angebots fehlt vielen die Orientierung und sie fragen sich, wem sie vertrauen können“, berichtet der Journalist. Jugendliche klagten zum Beispiel darüber, dass ihnen bei TikTok immer wieder Positionen der AfD angezeigt werden und sie fragten sich, wie sie da rauskommen, ohne TikTok verlassen zu müssen. „Nur wenige wissen, wie ein Algorithmus funktioniert und wie man ihn beeinflussen kann“, sagt Sadrozinski und weist auf die Website seines Vereins hin (www.journalismus-macht-schule.org), wo es auch Infos zu Themen wie „Videos selber machen“ oder „Wie kann man fake news entdecken“ gibt.

Medien zwischen Vertrauen und Aufmerksamkeit

In der Regel gestalten vom Verein vermittelte Journalisten 90 Minuten Unterricht und zeigen unter anderem, wie man recherchiert. Sadrozinski sieht seine Aufgabe in der Schule auch darin zu erklären, wie Journalismus überhaupt funktioniert. Er erlebt, wie er mit Offenheit Misstrauen überwinden kann, das oft von Haltungen wie „Die denken sich irgendwas aus“ oder „Die Regierung bestimmt, was geschrieben wird“ geprägt ist. Dabei sieht er seine eigene Branche in der Verantwortung: „Auch seriöse Medien nutzen im Netz teilweise reißerische Titel, um Aufmerksamkeit zu erregen. Dabei hat die Überschrift oft nichts mit dem Inhalt der Meldung zu tun. Langfristig verspielt der Journalismus so Vertrauen.“ Zwei Schülerinnen interviewen Sadrozinski während des Workshops mit dem Mikro und wollen von ihm wissen: „Schränkt die Emotionalisierung in sozialen Medien die Pressefreiheit ein?“ Seine Antwort: „Ja, Fakten werden häufig verkürzt dargestellt und das führt zu Verfälschungen.“

Unterrichtsmaterial für Schulen

Sadrozinski betont, dass die Besuche von Journalisten für Schulen kostenlos seien. Zudem würden kostenlose Unterrichtsmaterialien sowie Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer angeboten. Er weiß aber auch von Vorbehalten gegenüber der Initiative, die vom Ernst Klett Verlag und dem Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gefördert wird: „In Sachsen haben Lehrer Angst, Ärger mit Eltern zu bekommen, wenn sie uns einladen. Da gibt es dann Reaktionen wie ‚Wollt ihr die Kinder umerziehen‘? Manche Lehrkraft will sich diesen Ärger nicht antun und lädt uns nicht mehr ein.“

Die 2024 veröffentlichten Ergebnisse der internationalen Studie „Computer- und informationsbezogene Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe“ (ICILS) spricht für Deutschland vom besorgniserregenden Rückgang im kompetenten und reflektierten Umgang mit digitalen Medien und Informationen. Ein Prozent der Jugendlichen erreichten die höchste Kompetenzstufe, 40 Prozent hatten nur rudimentäre Kenntnisse.

Text: Joachim Göres