Handpuppen im Unterricht sind bei Grundschulkindern nach wie vor sehr beliebt. Sie können die Angst vor dem Sprechen nehmen, die Motivation erhöhen und so zu einer guten Lernatmosphäre beitragen.
Frank Jess bittet Luisa nach vorne. Das Mädchen aus der ersten Klasse der Ikarus-Grundschule im ostniedersächsischen Lachendorf soll ihren Klassenkameraden das B und weitere Buchstaben mit Handbewegungen zeigen. Luisa geht langsam nach vorne, macht ein paar kurze Bewegungen und will schnell wieder zurück zu ihrem Platz – daran ändert auch die Aufforderung ihres Lehrers nichts, das Ganze nochmal zu wiederholen. Dann kommt Fio ins Spiel. „Zeig das doch noch mal. Ich will nur helfen“, sagt der Frosch mit etwas krächzender Stimme. Luisa bleibt vorne und wiederholt die Bewegungen nun deutlicher, so dass alle Kinder erkennen können, um welches Wort es sich dreht. „Luisa steht nicht gerne vor der Klasse, aber wenn Fio seine Hilfe anbietet, dann fällt ihr das leichter“, sagt Jess und fügt hinzu: „Durch Fio wird Luisa mutiger.“
Fio – das ist eine grüne Handpuppe mit einem Froschgesicht, die ihren Mund durch die rechte Hand von Jess öffnet und schließt und mit Hilfe der verstellten Stimme von Jess oft dazwischenredet. „Ich will, ich will, ich will!“, ruft Fio ungefragt, nachdem der Klassenlehrer unter einer Decke verschiedene Gegenstände versteckt hat und in die Runde fragt, wer davon etwas hervorziehen möchte. Viele Kinder melden sich, auf Fios Versuch sich vorzudrängeln reagieren sie mit einem lauten „Nein!“
„Nie darf ich drankommen, ihr seid doof“, reagiert Fio beleidigt und lenkt dann aber schnell wieder ein, in dem er begeistert die Dinge kommentiert, die unter der Decke zum Vorschein kommen. „Ey, voll super, ein Gus.“ Die Erstklässler wundern sich nicht, dass der vorlaute Fio mal wieder nicht richtig zugehört und etwas falsch verstanden hat und korrigieren: „Das ist ein Bus!“ Es wird viel gelacht über Fios Schusseligkeit und seine eher lockere Ausdrucksweise und es wird seine Nähe gesucht. Im Sitzkreis rund um die Decke streicheln immer wieder neben ihm sitzende Mädchen und Jungen die Handpuppe.
Nachdem Jess mit Hilfe seiner Handpuppe das kleine und das große B aufgemalt hat, sollen die Mädchen und Jungen auf ihren Arbeitsblättern das kleine b ausmalen – dabei müssen sie aufpassen, dass sie den Buchstaben nicht mit dem kleinen d verwechseln. Jess geht durch die Bankreihen, schaut sich die Resultate an und Fio lobt in seinem Namen „Gut gemacht“ oder fordert auf „Das kannst du noch besser machen.“ Jess: „Wenn Fio das sagt, motiviert das die Kinder eher, als wenn ich das sage.“
Jess arbeitet seit 2006 als Grundschullehrer, den Einsatz von Handpuppen im Unterricht hat er sich selbst beigebracht. „Wir haben drei Kinder, bei ihren Geburtstagen habe ich Kasperletheater gespielt, das hat immer Spaß gemacht“, erzählt der 48-Jährige von seinen ersten eigenen Schritten. Man brauche kein schauspielerisches Talent, sondern nur Offenheit gegenüber neuen Methoden, die so neu gar nicht sind – viele erfahrene Lehrkräfte berichten, dass sie früher in der Grundschule mit Handpuppen gearbeitet hätten, zum großen Gefallen ihrer Klassen, doch wegen der steigenden Anforderungen an den Unterricht verzichte man aus zeitlichen Gründen eher darauf.
Jess erlebt dagegen immer wieder, dass er durch den Einsatz von Handpuppen seine Unterrichtsziele deutlich schneller erreicht. „Fio trägt einfach zu einer guten Lernatmosphäre bei. Letztlich ist es am wichtigsten, dass die Kinder gerne in die Schule kommen, und da kann eine Handpuppe eine große Rolle spielen.“ Das gilt nach seiner Erfahrung auch für ältere Grundschulkinder und für alle Fächer: „Im Sportunterricht haben wir ein Zebra. Wenn sich das Zebra etwas traut, dann trauen sich die Kinder das auch.“ Für welches Tier man sich als Handpuppe entscheide, sei letztlich gar nicht so wichtig – sie sollte nur nicht zu klein sein, Augen und Gesicht sollten gut zu erkennen sein, mit der Hand sollte man gut in die Handpuppe schlüpfen können und sie sollte leicht mit einer Hand zu bedienen sein, damit man die andere Hand frei habe.
Für Bianca Rüter ist noch etwas anderes wichtig. Die Sozialpädagogin setzt in der Hermann-Schafft-Schule im nordhessischen Homberg Klappmaul-Handpuppen im Glücksunterricht ein. Diese Schule besuchen Schülerinnen und Schüler mit Hör- und Sehschädigungen. Im Glücksunterricht geht es bei den hörgeschädigten Kindern der ersten und zweiten Klasse darum, über Gefühle zu sprechen. „Das kann bei einer Hörschädigung für Kinder schwieriger sein, weil sie sich darüber wegen der Beeinträchtigung häufig nicht mit ihren Eltern austauschen können. Durch unseren Kater Carlos fällt es ihnen leichter, ihre Gefühle zu erkennen und zu benennen“, sagt Rüter, die immer wieder beobachtet, wie Kinder die Handpuppe streicheln. Für Rüter ist entscheidend, dass sie mit einer Handpuppe auch Gebärden darstellen kann, damit sie alle Mädchen und Jungen erreicht. Kater Carlos hat seinen Auftritt immer am Anfang des Glücksunterrichts, wenn er das Programm des Tages vorstellt und in die Runde fragt, wie es jedem geht. Am Ende der drei Stunden will er wissen, was gut und was weniger gut war – dazwischen schläft er viel.
„Handpuppen sind ein wunderbares Medium in der Grundschule“, findet auch Ulrike Gergaut, Gruppenleiterin beim Klett Grundschulverlag. Passend zu den Maskottchen seiner Lehrwerke bietet der Ernst Klett Verlag Handpuppen an: Zebra Franz, Drache Niko und Puppe Mimi sind seit Jahren beliebt. „Handpuppen helfen, Aufregung und Sprechangst im Morgenkreis oder bei der Präsentation von Lernergebnissen zu überwinden. Die Kinder können hinter der Figur zurücktreten. Darauf weisen wir in unseren didaktischen Lehrerkommentaren immer wieder hin“, so Gergaut.
Nicht immer ist der Einsatz von Handpuppen sinnvoll – so Lehrer Jess. „Fio gibt keine Anweisungen, er kritisiert nicht. Wenn die Situation angespannt ist, hilft eine Handpuppe nicht weiter, dann bin ich in meiner Rolle als Lehrer gefragt.“ Auch hänge es von der eigenen Tagesform ab, ob man einer Handpuppe seine Stimme leihe und dadurch ständig die Rolle wechsele. „Das ist schon anstrengend, das geht nicht jede Stunde. Man kann das auch nicht alles planen, sondern muss viel spontan reagieren. Doch man wird belohnt, wenn man sieht, wie motiviert die Kinder sind.“ Sein Wunsch: Die Arbeit mit Handpuppen sollte in der Lehrerausbildung angeboten werden. Sein Tipp an interessierte Lehrkräfte: „Es ist wie beim Computer: Man kann nichts verkehrt machen, sondern sollte es einfach ausprobieren.“
Text: Joachim Göres
Kompakt
Handpuppen lockern die Stimmung in der Klasse auf und schaffen eine gute Lernatmosphäre – das erlebt der Grundschullehrer Frank Jess immer wieder. Er arbeitet in seinem Unterricht seit fast 20 Jahren mit Klappmaul-Puppen. Sie können Kinder dazu animieren, sich an Regeln zu halten, sich mehr zuzutrauen, sich auf etwas zu konzentrieren und motivierter Aufgaben zu erledigen. Jess setzt Handpuppen sogar bei Elternabenden ein – dadurch werde es einfacher, über schwierige Themen wie Regelverstöße, Streit und Gewalt zu sprechen.
Buchtipp:
Die Handpuppe Zebra Franz ist eines von vielen Maskottchen, die passend zu den Lehrwerksreihen der Klassen 1 bis 4 angeboten werden. https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-270622-7