Das Judentum wird im Religionsunterricht der Sekundarstufe I in den Klassen 5/6 und 9/10 thematisiert. Zu wenig, finden Religionslehrkräfte, die sich dazu auf einer Tagung über ihre Erfahrungen austauschten und sich fragten: Soll man eher die Gemeinsamkeiten oder die Unterschiede zwischen Christentum und Judentum betonen?

Wo haben Sie etwas über das Judentum gelernt? In der Schule. Was haben Sie über das Judentum gelernt? Die antijüdischen Gesetze während der NS-Zeit, die Konzentrationslager, die Anzahl der jüdischen Opfer während des Holocaust. Debora Antmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Jüdischen Museum Berlin, beschreibt in einer Kolumne des Berliner „Tagesspiegels“ die typischen Antworten von nicht-jüdischen Erwachsenen, die in ihren Workshops mehr über das Judentum wissen wollen. Sie kommentiert die Antworten so: „Sie sehen sich außerstande zu erkennen, dass es sich dabei vor allem um ein Wissen von den Verbrechen der Deutschen handelt.“

„Bei den 5. Klässlern besteht eine große Neugierde auf andere Religionen“

Wie kann man ein umfassenderes Bild vermitteln, sprich: Wie kann man das Thema Judentum gut in der Schule unterrichten? Darum ging es auf einer Tagung von Lehrkräften des Faches Religion, die in der Evangelischen Akademie Loccum stattfand. Dort tauschten sich Lehrerinnen und Lehrer verschiedener Schulformen aus Niedersachsen, Bremen und Nordrhein-Westfalen drei Tage lang über ihre Erfahrungen aus. In der Sekundarstufe I wird im Religionsunterricht der Klassen 5/6 und 9/10 näher auf die jüdische Religion eingegangen. Bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern stehen Fragen wie „Wer war Jesus von Nazareth?“ oder jüdische Rituale und Feste im Mittelpunkt, die mit christlichen Bräuchen verglichen werden. „Bei den 5. Klässlern besteht eine große Neugierde auf andere Religionen, sie haben keine Vorurteile“, sagt Anja Maßow, Lehrerin für Religion am Gymnasium in Groß Ilsede.

Judentum im Lehrplan

Die meisten Kinder und Jugendlichen kennen keine Juden – deswegen werden vielerorts junge Menschen mit jüdischem Glauben in die Klasse eingeladen oder man besucht eine Synagoge. „In der 9. Klasse sind die in den Klassen 5/6 erworbenen Kenntnisse kaum noch vorhanden. Es wäre besser, den Stoff zum Thema Judentum anders im Lehrplan zu verteilen“, regt Angela Baumann-Koch an, Lehrerin am katholischen Gymnasium Mariano-Josephinum in Hildesheim. Sie spricht davon, dass Schülerinnen und Schüler oft das Bild von orthodoxen Juden im Kopf haben, was durch entsprechende Abbildungen in den Medien unterstützt werde. „Ich will ihnen zeigen, dass es auch andere Juden gibt“, sagt Baumann-Koch. In Arbeitsgruppen waren sich die Lehrkräfte einig, dass Judentum und Christentum gleichwertig dargestellt werden müsse und dass man Stereotype vermeiden müsse.

Doreen Levening hat vor zwei Jahren für ihre Master-Arbeit am Institut für Katholische Theologie der Uni Paderborn den katholischen Religionsunterricht einer 9. Klasse eines Gymnasiums zum Thema Judentum begleitet. Am Anfang und Ende der Unterrichtsreihe „Aus einer Wurzel – Das christlich-jüdische Verhältnis im Wandel“ hat sie den 22 Schülerinnen und Schüler schriftlich folgende Fragen gestellt, die anonym beantwortet werden sollten: Judentum – was ist das? Judentum – wer ist das? Judentum – wo ist das? Judentum – was haben Christen damit zu tun? Judentum – was habe ich damit zu tun? Bei der letzten Frage hat sie eine Antwort ausführlich zitiert: „Ich persönlich habe nichts mit dem Judentum zu tun. Trotzdem verachte ich sie nicht, weil sie eine andere Religion haben oder einmal wohlhabender gewesen sind als meine Vorfahren im Christentum. Außerdem sehe ich keinen Grund darin, Juden zu verfolgen oder zu ermorden, nur weil sie ein eventuell besseres Leben führen.“

Abbau von Vorurteilen

Solche Stereotypen seien am Ende der über neun Wochen laufenden Unterrichtseinheit, in der es zwei Stunden in der Woche unter anderem um Jesus als Juden, die Entstehung des Christentums aus dem Judentum und um die Bedeutung des Staates Israel für die Juden ging, weniger geworden. Die Abgrenzung gegenüber dem Judentum sei größerer Wertschätzung gewichen. Über die jüdische Vergangenheit und Gegenwart in der eigenen Stadt wisse man durch Begegnungen mit jungen Juden und einem Projekt zu den Spuren jüdischer Kultur in der Umgebung nun deutlich mehr.

„Es ist erschreckend, was es immer noch an Vorurteilen gibt“, sagt der Paderborner Religionsdidaktiker Jan Woppowa, der die Master-Arbeit betreut hat. Deswegen müsse man im Unterricht immer wieder Fragen nach dem Judentum stellen und auch über antijüdische Klischees und Antisemitismus sprechen bzw. die bewusste Wahrnehmung dafür schärfen. Nach seinen Worten spielt das Thema Judentum sowohl in den Lehrplänen für die Schulen als auch in der Ausbildung angehender Religionslehrkräfte eine zu geringe Rolle. „Im Religionsstudium ist das Judentum zum Teil kein Thema. Dabei muss man jüdisches Denken verstehen, um das Christentum verstehen zu können“, betont Woppowa und fügt hinzu: „Das jüdisch-christliche Verhältnis hatte in den 80er/90er Jahren eine viel größere Bedeutung.“

Die Politikwissenschaftlerin Christine Chiriac vom Braunschweiger Leibniz-Institut für Bildungsmedien/Georg-Eckert-Institut hat sich mit der Darstellung der Geschichte, Kultur und Religion des Judentums in Schulbüchern beschäftigt, wobei der Fokus nicht allein auf Religionslehwerken lag. Sie sieht noch Verbesserungsbedarf in den Lehrplanvorgaben. So werde die Bedeutung des Judentums für das Christentum nicht ausreichend klar, das moderne Judentum werde vernachlässigt, jüdische Stimmen tauchten nur selten auf, bei der Illustration dominierten christliche Kunstwerke, Judentum werde ausschließlich mit Religion in Verbindung gebracht. „Die Unterschiede zwischen Christentum und Judentum werden verwischt, sie werden entkoffeiniert“, lautet einer ihrer Kritikpunkte – der in der Diskussion auf lebhaften Widerspruch stieß. Den bringt Heike Haskamp, Religionslehrerin an der Oberschule Holdorf bei Vechta, so auf den Punkt: „Ich will zeigen, was wir gemeinsam haben und nicht, was die Unterschiede sind.“

Text: Joachim Göres

Kompakt: Das Judentum wird im Religionsunterricht der Sekundarstufe I in den Klassen 5/6 und 9/10 thematisiert. In den unteren Klassen besteht nach der Erfahrung von Lehrkräften an fremden religiösen Festen und Ritualen ein großes Interesse. Auf Stereotype treffe man eher bei älteren Schülerinnen und Schülern. Doreen Levening hat für ihre Master-Arbeit eine neun Wochen dauernde Unterrichtseinheit zum Thema Judentum in einer 9. Klasse begleitet, durch die nach ihrer Beobachtung Vorurteile abgebaut werden konnten.

Medien-Tipp

Die Wanderausstellung „Du Jude!“ der Kölner Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wendet sich gezielt an Jugendliche und junge Erwachsene und informiert über den alltäglichen Antisemitismus in Deutschland. Die nächsten Termine: Hennef, Carl-Reuther-Berufskolleg (29.10.-9.12.); Frechen, Geschäftsstelle des Integrationsrates (4.11.-5.12.); Gelsenkirchen, Schalker Gymnasium (9.12.-24.1.25).