Klett-Themendienst Nr. 100 (06/2021)

Nicht erst seit Corona, aber seither noch stärker, weisen Kinder erhebliche Lücken in der Lesefähigkeit auf. Der neue „Lesetest Sekundarstufe“ (LeSek) erleichtert es, herauszufinden, welche Bereiche des Lesens nachgeschult werden sollten. Entwickelt haben ihn Dr. Eva S. Adler und Mag. Dr. Maria Götzinger-Hiebner. Ein Gespräch.

Welche Vorzüge hat der von Ihnen entwickelte Test?
Maria Götzinger-Hiebner: Es handelt sich um einen Einzeltest, der in einem einzigen Testdurchgang eine große Palette an Informationen liefert. Im selben Testdurchgang lässt sich nicht nur der Verdacht auf eine Leseschwäche mit großer Sicherheit erhärten oder ausschließen, sondern auch feststellen, welche Bereiche des Lesens eventuell nachgeschult werden sollten. So bildet er die Basis für eine gezielte und erfolgreiche Förderung.

Eva Adler: Der Test selbst ist wissenschaftlich normiert und standardisiert und entspricht den Testgütekriterien. Die Gesamtzahl der Normstichprobe beträgt 864 Personen. Der Test liegt in zwei Versionen, nämlich für die Schulstufen 5-6 und 7-9, vor. Für jede einzelne Jahrgangsstufe (also 5, 6, 7, 8, 9) erfolgte eine gesonderte Normierung mit entsprechender Normtabelle.
Das Handbuch zum Test bietet neben wissenschaftlicher Information auch viele Anregungen und leicht umsetzbare Tipps für die Leseförderung. Dafür konnten wir – eine Psychologin und eine Linguistin – aus unserer eigenen beruflichen Tätigkeit schöpfen.

Welche Aufgaben werden den Kindern und Jugendlichen gestellt?
Götzinger-Hiebner/Adler: Der Test besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil werden Straßennamen aus dem Berliner, Wiener und Zürcher Straßenverzeichnis sowie – mit höherem Schwierigkeitsgrad – den Testpersonen unbekannte Fremdwörter zum Vorlesen vorgegeben. Im zweiten Teil gilt es, Arbeitsanweisungen, die Aufgabenstellungen in Mathematik ähneln, zu verstehen und umzusetzen. Im dritten Teil werden drei verschiedene Texte vorgegeben, die alle gelesen werden, und zwar wahlweise leise oder auch laut, falls das von der jeweiligen Testperson vorgezogen wird. Nach jedem Text erfolgt eine Pause, in der die Testpersonen den Text nacherzählen, soweit sie ihn in Erinnerung haben.

Warum drei Texte?
Götzinger-Hiebner/Adler: Es war uns aufgefallen, dass mitunter das Leseverständnis von Text zu Text stark schwankt. Werden drei Texte vorgegeben, die alle gelesen werden, ist das Ergebnis zuverlässiger. Darüber hinaus war es uns ein besonderes Anliegen, die Texte so zu gestalten, dass sie auch alle verstehen können. Deswegen achteten wir sehr auf die Wortwahl, was nicht immer ganz einfach war.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Götzinger-Hiebner/Adler: In einem Text kam das Wort Suppengrün vor, also ein Bund Gemüse, das zum Kochen einer Suppe gedacht ist. Kolleginnen machten uns darauf aufmerksam, dass dieser Begriff nicht überall verständlich sei. Deswegen ersetzten wir ihn durch Suppengemüse. Doch zu unserer Überraschung zeigte sich, dass manche jungen Leute nur die Technik der Suppenbereitung aus dem Alubeutel kannten. Daher ersetzten wir das Wort durch Gemüse, und jetzt verstehen es alle. Außerdem endet jeder Text mit einer Pointe, die den Lesenden ein Schmunzeln auf ihre Gesichter zaubert. Das trägt wesentlich zu einer entspannten Testsituation bei.

Wie lange dauert der Test?
Götzinger-Hiebner/Adler: Das hängt von einigen individuellen Voraussetzungen, wie etwa dem Lesetempo, ab. Üblicherweise benötigt man 15 bis 20 oder mitunter auch 30 Minuten.

Wie wird verhindert, dass Kinder aus Angst vor dem Lesen die Mitarbeit verweigern?
Götzinger-Hiebner/Adler: Angst und mangelndes Vertrauen können die Testergebnisse verfälschen. Uns ist ganz wichtig, dass der Test in der persönlichen Interaktion zwischen Testleiterin oder -leiter sowie Schülerin oder Schüler stattfindet. Zu Beginn der Testung sollte zur Entängstigung ein kurzes Gespräch mit dem Kind geführt werden. Darin sollte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass es sich um keine Prüfung handelt, der Test also keinesfalls zu einer Benotung führt.

Was wird den Schülerinnen und Schülern stattdessen gesagt?
Götzinger-Hiebner/Adler: Den Kindern und Jugendlichen soll vermittelt werden, dass erhoben wird, was sie schon können und wo sie noch Unterstützung benötigen. Sie sollen daher so gut lesen, wie sie es eben können. Es sollte ihnen verdeutlicht werden, dass es normal ist, dass beim Lesen Fehler passieren, und dass ein Test so aufgebaut sein muss, dass niemand alles richtig beantworten kann.

Worauf ist noch zu achten?
Götzinger-Hiebner/Adler: Falls eine Brille zum Lesen und Schreiben benötigt wird, ist diese auch während des Tests zu tragen. Außerdem ist darauf zu achten, dass der Test niemals gegen den Willen eines Kindes oder Jugendlichen durchgeführt werden darf.

Was sagt das Tempo, in dem die Schülerinnen und Schüler die Aufgaben bewältigen?
Götzinger-Hiebner/Adler: Das Lesetempo allein gibt keinen Aufschluss über die Lesefähigkeit und wird daher getrennt bewertet. Für eine zielgerichtete Förderung müssen alle Aspekte des Lesens betrachtet werden.
Ein spezielles Problem haben die Kinder und Jugendlichen, die nicht laut lesen können, obwohl sie den Sinn durchaus erfassen. Ihre Leseleistung wird oft falsch eingeschätzt. Bei uns können sie es sich bei den Texten aussuchen, ob sie laut oder leise lesen möchten. Entscheidend ist, ob der Text nach einmaligem Lesen verstanden wurde.

Kann der LeSek auch bei Schülerinnen und Schülern mit anderer Muttersprache als Deutsch eingesetzt werden?
Götzinger-Hiebner/Adler: Ja, denn bei der Erstellung der Texte wurde auf diese Gruppe besonders Rücksicht genommen. Der Wortschatz enthält nur gebräuchliche und allgemein verständliche Ausdrücke, und der Satzbau beschränkt sich auf leicht erfassbare Haupt- und Gliedsätze.

Wieviel Aufwand muss die Testleiterin oder der Testleiter betreiben?
Götzinger-Hiebner/Adler: Für das Vertrauensgespräch und den Test selbst sind die schon erwähnten 15-30 Minuten zu investieren. Die Auswertung erfolgt mit dem auf der Rückseite des Testheftes befindlichen Code online. Das Ergebnis wird sowohl als Text als auch als Grafik und als Tabelle dargestellt. Zusätzlich gibt es eine Interpretationshilfe und Hinweise für die Förderung.

Autor: Stephan Lüke

Kompakt
Lesen ist eine der wichtigsten Kernkompetenzen im (Schul-)Alltag. Ohne die entsprechende Lesekompetenz fehlt den Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit zur Texterschließung und zum Textverständnis. Umso wichtiger ist eine verlässliche Diagnose einer möglichen Leseschwäche. Um Lehrkräfte bei der Lernstandserhebung zu unterstützen, bündelt der Ernst Klett Verlag unter dem Dach „Klett Diagnostik“ neue, wissenschaftlich normierte Tests wie den „LeSek 5-9“ mit einfacher Online-Auswertung.

Zur Person
Dr. Eva S. Adler
Doktoratsstudium Psychologie und Pädagogik, Ausbildung zur Klinischen Psychologin und zur Kinder-, Jugend- und Familienpsychologin. Langjährige Tätigkeit als Schulpsychologin und in der eigenen psychologischen Praxis. Lehrtätigkeit an der Universität Wien (Psychologie und Bildungswissenschaften) sowie in der Ausbildung zur Lese-und RechtschreibbetreuerIn an Pädagogischen Hochschulen.

Mag. Dr. Maria Götzinger-Hiebner
Studium Germanistik, Anglistik und Sprachwissenschaft. Unterricht am Gymnasium, Förderung lese-rechtschreibschwacher Schülerinnen und Schüler an der Schule und in der Privatpraxis, Erwachsenenalphabetisierung, Lehrtätigkeit an Pädagogischen Hochschulen vorwiegend im Bereich Deutschdidaktik.

Buchtipp:
Mit dem LeSek bestimmen Lehrkräfte einfach und sicher die Lesefähigkeit ihrer Schülerinnen und Schüler der Stufen 5–9. Dazu stehen Testhefte in zwei Versionen zur Verfügung, über die anschließend eine Online-Auswertung erfolgt. Weitere Informationen unter: http://www.klett.de/diagnostik