Klett-Themendienst Nr. 74 (02/2017)

Migranten als Elternvertreter an Schulen sind vielfach noch die Ausnahme – dennoch hat sich gerade aus Sicht der in Deutschland aufgewachsenen Kinder von Gastarbeitern einiges verbessert.

„Lehrer sagen oft: Migranten-Eltern interessieren sich nicht für die Schule ihres Kindes. Das stimmt nicht. Ein Problem ist aber, dass viele dieser Eltern tatsächlich nur wenig Kontakt zur Schule haben.“ Wie kann man das ändern – eine Frage, die Lucy Grimme umtreibt, aus El Salvador stammende stellvertretende Vorsitzende des niedersächsischen Integrationsrates. Spezielle Angebote für Mütter und Väter, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, gebe es viele – doch die Information darüber z.B. per Flyer sei oft der falsche Weg. „Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen, die Menschen direkt ansprechen, sie persönlich einladen“, empfiehlt die pädagogische Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt in Lüneburg. Eine Frage, die angesichts von rund 50 000 neuer Schüler mit geringen oder gar keinen Deutschkenntnissen alleine in Niedersachsen aktueller ist denn je.

„Viele der heutigen Migranten-Eltern sind selber in Deutschland zur Schule gegangen, sind mit dem Bildungssystem und der Sprache besser vertraut als ihre Eltern. Eine Mehrheit hat großes Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder. Immer mehr sind auch bereit, z.B. in Elternräten mitzuarbeiten. Zudem sind auch die Lehrer heute viel besser ausgebildet, wenn es um die Förderung von Kindern mit einer anderen Muttersprache geht“, sagt Seyhan Öztürk, die im Klassenelternrat an der Grundschule ihrer Tochter in Garbsen bei Hannover aktiv ist. Beim Elternabend in der 1. Klasse seien dort fast alle Eltern gewesen, auch die mit Migrationshintergrund.
Sie weiß aber auch von Ängsten von Migranten, bei der Wahl als Elternvertreter zu kandidieren. „Man muss Menschen zu diesem Schritt ermutigen, gerade wenn sie nicht perfekt Deutsch sprechen“, sagt Öztürk und ergänzt: „Außerdem wäre es wichtig, den muttersprachlichen Unterricht an den Schulen zu verstärken, das wäre ein Zeichen der Wertschätzung und könnte den Kontakt zur Schule stärken.“

An der Grundschule Am Geitelplatz in Wolfenbüttel werden Kinder auch in ihrer Muttersprache Arabisch unterrichtet. „Über diesen Unterricht bringen wir arabisch sprechende Eltern, die schon lange in Deutschland leben, mit Eltern von Flüchtlingskindern in Kontakt. So wird die Schule zum wichtigen Treffpunkt“, sagt die Sozialpädagogin Nicole Schröder. Regelmäßige Elterncafés oder gemeinsames Kochen bieten mittlerweile etliche Grundschulen an. Auch die Homepage der Geitelschule will Kontakthürden überwinden – grundlegende Informationen gibt es auf Türkisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Polnisch.

Sind Sprachbarrieren überwunden, prallen nicht selten unterschiedliche pädagogische Vorstellungen aufeinander. „In den Herkunftsländern vieler Migranten dominiert Frontalunterricht, die Schüler müssen zuhören, es geht um Wissensvermittlung und Leistung. In Deutschland erleben sie, dass die Lehrer häufig viel offener sind, das verunsichert viele Eltern erstmal“, sagt Maike Hoeft, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Paderborn. Die Pädagogin führt vor allem mit türkischen Frauen Workshops durch, in denen es u.a. darum geht, wie Kinder lesen lernen, was ein Stundenplan ist, was Rechtschreibschwäche bedeutet. „Eltern sind glücklich, wenn man ihnen solche Begriffe und Zusammenhänge erklärt, die vielen fremd sind“, sagt Hoeft. Sie plädiert dafür, Infoveranstaltungen mit Kinderbetreuung und Dolmetscher anzubieten, am besten mit Essen und Trinken. „Man braucht eine Willkommenskultur, wenn man eine echte Mitwirkung aller Eltern will. Und zwar schon in der Kita. Sie müssen erleben, dass sie etwas bewirken können, dann engagieren sie sich auch“, ist Hoeft überzeugt.
„Ich finde es gut, wenn es an Grundschulen keine Noten gibt, denn eine Vier kann Kinder demotivieren. Doch viele Eltern können mit den Berichten über den Leistungsstand ihres Kindes nur wenig anfangen“, sagt Fatma Ekizce. Sie erinnert sich noch gut an den Elternabend an der Gesamtschule Schinkel in Osnabrück. „Niemand wollte sich zur Wahl stellen, da habe ich mich dazu entschlossen. Die Schule hat mich unterstützt, das war wichtig. Eine Wahl mit mehreren Kandidaten habe ich erst beim Stadtelternrat Osnabrück mitgemacht.“ Inzwischen gehört sie auch dem niedersächsischen Landeselternrat an, und zwar dem Ausschuss für die Interessen ausländischer Kinder.

Acht Vertreter könnte dieser Ausschuss haben, nur zwei sind besetzt. Fehlendes Interesse bei Migranteneltern? Carola Burggraf-Köck vom Landeselternrat widerspricht: „An unserer Schule in Helmstedt habe ich alle Eltern angeschrieben. 20 mit einem Migrationshintergrund sind daraufhin zu einem Elternabend gekommen und haben einen eigenen Vertreter gewählt, wie es ihnen zusteht. An den meisten Schulen passiert das leider nicht.“

Vahide Akbay berichtet aus ihren Erfahrungen als Lehrerin an der Berufsschule für Hauswirtschaft in Hannover: „In den Herkunftsländern von Migranten spielen Eltern in der Schule meist keine Rolle. Zudem ist das Berufsschulsystem in Deutschland einzigartig, das verstehen viele Eltern nicht und es fehlen fremdsprachige Informationen darüber. Aber auch deutsche Eltern beteiligen sich zu wenig am Schulleben – leider.“

Kompakt
Mangelnde Sprachkenntnisse, Unwissenheit über das deutsche Bildungssystem, ein vom Herkunftsland geprägtes Verständnis von Schule, in dem Eltern keine Rolle spielen – einige der Gründe, warum Mütter und Väter mit Migrationshintergrund oft an den Schulen ihrer Kinder von Mitwirkungsmöglichkeiten keinen Gebrauch machen. Experten empfehlen den direkten persönlichen Kontakt, um Eltern zu aktivieren – dann können jahrelang in Deutschland lebende Migranten auch zum Brückenbauer für die in letzter Zeit in unser Land geflüchteten Menschen werden.

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