Bis heute machen die Bundesländer unterschiedliche Vorgaben, nach welcher Methode Kinder in der Grundschule das Schreiben lernen. Eine Ausstellung in Hannover zeigt die Entwicklung in den letzten 160 Jahren.

Blau oder grün? Wer an seine Schulzeit und sein erstes Schreibgerät denkt, wird diese Frage häufig noch beantworten können: Die Füller von Geha waren grün, die von Pelikan blau. Der blaue Pelikano kam 1960 auf den Markt und stellte eine kleine Revolution dar: Bis dahin mussten Schüler ihren Füller umständlich mit Tinte aus einem Tintenfass nachfüllen, die neuartigen Füllerpatronen ließen sich dagegen schnell auswechseln. Daran erinnert die gerade eröffnete Ausstellung „Gänsefeder, Pelikano, Tastatur“ über die Geschichte des Schreibens, die bis Ende des Jahres in Hannover im Pelikan Tintenturm läuft. Titel und Ort lassen ahnen, dass hier vor allem Produkte des Herstellers präsentiert werden, der seit fast 200 Jahren Schreibutensilien fertigt. Zu sehen sind in der Ausstellung unter anderem Werbeplakate, Schiefertafeln, Stahlfedern, Tintenfässer und eine große Auswahl von Füllern. Man kann mit einer Gänsefeder schreiben lernen oder sich mit einem Füllfederhalter im goldenen Gästebuch verewigen.

Von Kurrentschrift und Sütterlin bis Lateinische Ausgangsschrift

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht die Frage: Wie wurde früher Kindern die Schreibschrift vermittelt und wie lernen sie sie heute. 1865 wurde in Schulen die Kurrentschrift eingeführt. Sie lernten bei weitem nicht alle Kinder – Schulpflicht gibt es in Deutschland erst seit 1919. Von 1915 bis 1941 war in Preußen Sütterlin Pflicht, erfunden vom Grafiker Ludwig Sütterlin. Typisch für diese Schrift sind Auf- und Abstriche, Verbindungsbogen und -haken sowie Ovalformen. Danach galt bis in die 50er Jahre die deutsche Normalschrift, eine leicht abgewandelte Form der Sütterlin-Schrift. Ab 1953 setzte sich die Lateinische Ausgangsschrift durch. Da viele Kinder damit Schwierigkeiten hatten, entwickelten Pädagogen und Wissenschaftler in den 60er Jahren die Vereinfachte Ausgangsschrift (VA). Die kleinen Buchstaben werden mit einem Aufstrich verbunden, das Schreiben geht flüssiger von der Hand. Im Vergleich mit der Vorgängerschrift ähneln die großen Buchstaben eher Druckbuchstaben, es gibt weniger Schnörkel. Die Besonderheiten der einzelnen Schriften kann man in der Ausstellung nebeneinander studieren.

Schreiblehrgang Vereinfachte Ausgangsschrift, Mein Anoki-Übungsheft, 2025

„Es gab ab Ende der 60er Jahre regelmäßige Treffen der Experten der Arbeitsgemeinschaft Schreiberziehung, die darüber diskutierten, wie man die Schrift leichter erlernen kann. 1974 führten die westdeutschen Bundesländer dann die VA ein“, sagt Pelikan-Archivar Wilfried Leuthold. Er war bei diesen Treffen dabei, die im Pelikan-Konferenzsaal stattfanden – der Ort der Ausstellung, der bei der Eröffnung 1913 der größte Besprechungsraum Deutschlands war.

Schreiben fällt Kindern zunehmend schwerer

Heute lernen Kinder in den Grundschulen als Erstschreibschrift die Druckschrift. Darauf aufbauend sollen sie in den meisten Bundesländern eine verbundene Schrift lernen, entweder die Lateinische Ausgangsschrift, die Vereinfachte Ausgangsschrift oder die Grundschrift. Bei letzterer dürfen Buchstaben miteinander verbunden werden, müssen aber nicht. Dann gibt es noch die Schulausgangsschrift. Bei ihr ähneln die Großbuchstaben stark den Druckbuchstaben. In Bayern ist die Schulausgangsschrift und die Vereinfachte Ausgangsschrift zugelassen, wie auch in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern.  Andere Bundesländer lassen alle vier Schreibschriften zu (NRW, Niedersachsen) oder machen gar keine Vorgaben (Bremen, Hessen, Thüringen). Dagegen ist in Berlin, Sachsen und dem Saarland die Schulausgangsschrift Pflicht.

„Ich finde es in Ordnung, dass im Saarland die Schulausgangsschrift vorgeschrieben ist. Allerdings haben alle Schriften ihre Vor- und Nachteile“, sagt Carmen Daub, seit fast 20 Jahren Grundschullehrerin in Ensdorf bei Saarlouis. Dort gibt es ab der zweiten Klasse den Füllerführerschein – wenn Kinder in verbundener Schrift einen Text abschreiben können. Das fällt ihnen aber zunehmend schwerer. Die Gründe dafür sieht Daub im Kindergarten und zu Hause: „Es fehlt oft die nötige Feinmotorik, wenn Kinder kaum malen und sich wenig bewegen. Viele halten dadurch den Stift falsch. Eine Umgewöhnung ist kaum möglich, wenn es sich so eingeschliffen hat.“

„Es wird zu wenig Wert auf eine individuelle Handschrift gelegt“

Durch den Füller sollen Kinder die richtige Schreibhaltung lernen – tatsächlich bewirkt der Füller nach ihrer Erfahrung oft aber nicht die Änderung der falschen Haltung, sondern führt zur Anstrengung und Ermüdung beim Schreiben und einer unleserlichen Schrift. In solchen Fällen wünscht sich Daub mehr Flexibilität von Lehrkräften. „Nötig sind eine entspannte Schrift und Leserlichkeit. Eine verbundene Schrift ist schön, aber das sollte man nicht dogmatisch sehen. Es wird viel zu wenig Wert auf eine individuelle Handschrift je nach den Bedürfnissen der Kinder gelegt“, sagt Daub und fügt hinzu: „Die Motivation der Mädchen und Jungen, die Schreibschrift zu lernen, ist sehr groß, das sollte man nutzen. Ich mache mit meinen Kindern am Ende der Grundschulzeit ein Handschrifttraining, um sie zu einer persönlichen, angenehmen und leserlichen Schrift anzuleiten. Wichtig ist mir dabei, dass sie schnell und ohne große Anstrengung schreiben können.“ Zumal an weiterführenden Schulen nur noch die Leserlichkeit eine Rolle spiele.

Auf die Frage „blau oder grün“ werden Leserinnen möglicherweise „rot“ antworten – weil blau als typische Jungenfarbe galt, brachte Pelikan auch einen roten Füller auf den Markt, der sich bei Mädchen großer Beliebtheit erfreute. Heute haben Kinder und ihre Eltern die Qual der Wahl, wie auch die Ausstellung zeigt – neben den klassischen Farben gibt es Füller in pink, lila, weiß, schwarz, mit Rillen- oder Schuppenstruktur, mit schimmernder Metallic-Lackierung, Schafte mit Wegrollschutz. Von der Optik sollte man sich nicht blenden lassen, empfiehlt Daub: „Eine mittlere Federbreite eignet sich meist. Kinder sollten Füller immer ausprobieren, um zu sehen, welchen Füller sie am besten greifen können.“

Text: Joachim Göres

Kompakt

Durch den Gebrauch des Füllers sollen Grundschüler beim Schreibenlernen automatisch die richtige Haltung einnehmen. In der Praxis klappt das nicht immer. Um die Vermittlung zu erleichtern, wurden in den letzten 160 Jahren immer wieder neue Methoden eingeführt. Heute können Lehrkräfte in einigen Bundesländern zwischen der Lateinischen Ausgangsschrift, der Vereinfachten Ausgangsschrift, der Grundschrift und der Schulausgangsschrift wählen, in anderen Bundesländern wird eine Schrift vorgeschrieben.

Debatte: Brauchen wir noch eine verbundene Handschrift?

Immer wieder sind die verschiedenen Schreibschriften Grundlage für hitzige Diskussion an Grundschulen und darüber hinaus. Dabei ist doch unsere Zukunft digital. Brauchen unsere Kinder zukünftig überhaupt noch eine verbundene Handschrift? Oder wird diese in einigen Jahren ohnehin von der Spracherkennung abgelöst? Ein Beitrag aus unserem Grundschul-Blog.