Klett-Themendienst Nr. 122 (06/2024)
Die Nachfrage nach diagnostischen Angeboten, die den Fokus auf die Entwicklung der Rechtschreibleistungen legt, steigt. Diese Entwicklung ist gerade nach den jüngsten PISA Ergebnissen zu beobachten.
Bei PISA 2022 sind die 15-Jährigen Schülerinnen und Schüler auf die niedrigsten Werte abgerutscht, die in Deutschland im Rahmen von PISA jemals gemessen wurden. Im Vergleich zu PISA 2018 entspricht der Rückgang der Kompetenzen in Mathematik und Lesen dem durchschnittlichen Lernfortschritt eines ganzen Schuljahres, so war zu lesen. Entsprechend gestiegen ist die Nachfrage nach diagnostischen Methoden zur Erfassung der Rechtschreibleistung in Grundschule und SEK I, denn, so Peter May, „Lesen und Rechtschreibung korrelieren hoch“.
Kinder starten mit Vorsprung in die 1. Klasse
Peter May hat einen der ältesten, bekanntesten und den wohl auch am meisten genutzten Rechtschreibtest in Deutschland mit entwickelt: die Hamburger Schreib-Probe (HSP) für die Jahrgangsstufen 1-10. Der Wissenschaftler arbeitete an regionalen und überregionalen Schulleistungsstudien (LAU, KESS, IGLU) mit, veröffentlicht wissenschaftliche Beiträge zur Entwicklung und Förderung schulischer Leistungen, insbesondere im Lesen und Schreiben, und wirft folglich seinen eigenen differenzierten Blick auf die jüngsten PISA Ergebnisse:
„Die PISA Ergebnisse stimmen mit unseren Auswertungen überein. Wir können aber auch feststellen, dass die Voraussetzungen, mit denen Kinder in der Grundschule mit Lesen und Schreiben starten, besser geworden sind. Die Kinder zeigen in den HSP-Tests einen signifikanten Vorsprung gegenüber früheren Jahrgängen, können diesen jedoch nicht halten. Etwa ab der 3. Klasse verliert sich der Vorsprung und sinkt bis Klasse 10 stetig ab“.
„HSP smart“ fußt auf Item-Response-Theorie
Somit brechen die guten Ergebnisse aus der Förderleistung der frühkindlichen Bildung in der Kita genau dann ab, wenn das regelhafte Lernen und Üben der Gesetzmäßigkeiten der deutschen Sprache beginnt. Die dann entstehenden Defizite werden in der SEK I zu einem noch größeren Problem, wie die vergangenen PISA Ergebnisse zeigen. Tests zur Erfassung des Lernentwicklungsstandes können demnach gerade in der SEK I ein sinnvolles Verfahren sein, Lehrkräften aufzuzeigen, wo es bezüglich der Rechtschreibung bei den Jugendlichen hapert, zumal die Weiterentwicklung zu HSP smart als reines Online-Angebot einfach und intuitiv einsetzbar sein soll.
Wie funktioniert „HSP smart“? Peter May erläutert: „Im Unterschied zu den analogen Tests mit Papier und Bleistift haben wir eine online basierte adaptierte HSP entwickelt, welche der sogenannten Item-Response-Theorie folgt; das heißt, das Antwortverhalten eines Lernenden steuert die Schwierigkeit der nächsten Aufgabe. Der große Vorteil, der dadurch entsteht, liegt darin, dass schwächere Lernende nicht überfordert und leistungsstärkere Lernende nicht unterfordert werden. Zudem lässt sich der Test beliebig wiederholen, sodass Lernentwicklungen beobachtet werden können, was ihn wiederum für Förderkonzepte besonders geeignet macht. Die Anzahl der Worte ist geringer, und insgesamt lässt sich HSP smart ökonomischer in den Unterricht einbauen“.
Individuelle Tests, 13 Kompetenzstufen
Bei „HSP smart“ schreibt somit jede Schülerin und jeder Schüler einen eigenen Test, weil der Schwierigkeitslevel der Worte, nach deren Rechtschreibung gefragt wird, auf der zuvor gegebenen Antwort aufbaut. Die individuellen Ergebnisse werden 13 Kompetenzstufen zugeordnet und als Beschreibung der jeweils erreichten Kompetenzstufe formuliert. Die Lehrkräfte erhalten zum einen den Überblick darüber, wie viele Schülerinnen und Schüler ihrer Klasse welche Kompetenzstufe erreicht haben, und zum anderen einen daraus resultierenden sozialen Vergleichsmaßstab (aufgrund des Vergleichs mit einer repräsentativen Referenzgruppe). Diesbezüglich zieht May für seinen Test Konsequenzen aus der Rechtschreibentwicklung. Er hält im Handbuch zur HSP (Neuauflage 2022) fest: „Jedenfalls gibt der beobachtete Trend einer Verschiebung des Leistungsspektrums in den verschiedenen Klassenstufen genügend Anlass zur regelmäßigen Überprüfung und Anpassung der HSP-Vergleichsnormen.“
Kurzum: Wie beim anlogen HSP auch gibt es eine Auswertung, die den Lehrkräften zeigt, wo jeder einzelne Schüler steht, wie sich die Leistungsbreite in der Lerngruppe verteilt und wie sich dieses Ergebnis im Vergleich zu einem statistischen Durchschnitt bewerten lässt.
„Auflösung der Normenorientierung“
Ganz grundsätzlich stellt sich die Frage: Könnte eine konsequente Testung von der 1. bis zur 10. Klasse den zurzeit beobachtbaren Trend zur abnehmenden Rechtschreibleistung aufhalten? Peter May zeigt sich eher skeptisch: „Wenn eine Schule konsequent entlang der Testergebnisse individuell fördert, sehe ich gute Chancen. Nun ist es aber so, dass eine Vielzahl von Einflüssen den darauf abzielenden Unterricht zumindest erschwert. Aus meiner Sicht gehört dazu neben dem hohen Zuzug von Menschen mit nicht-deutscher Muttersprache die Auflösung der Normenorientierung in der Rechtschreibung, sichtbar z. B. an den vielen Alternativen, die der Duden anbietet, aber auch das abnehmende Regelbewusstsein beim Sprachgebrauch in den sozialen Medien. Solche Vielfalt im Umgang mit Rechtschreibung und Schriftsprache verunsichert vor allem schwächere Schülerinnen und Schüler, lässt aber auch bei versierten jungen Menschen ein Gefühl von Beliebigkeit entstehen.“
Text: Inge Michels
Medien-Tipp
Mit HSP smart bietet der Ernst Klett Verlag einen ganzjährig durchführbaren Online-Test für die Rechtschreibdiagnose in den Klassen 1 bis 10 an. Die Testinhalte passen sich dem Lernniveau der Schülerinnen und Schüler an. Dank umfassender Norm- und Vergleichswerte erhalten Lehrkräfte zu jedem Zeitpunkt im Schuljahr aussagekräftige und wissenschaftlich abgesicherte Ergebnisse.