Niedersachsen führt nach den Sommerferien 2025 das neue Fach Christliche Religion CRU ein, das schrittweise den evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht ersetzt. Damit reagiert das Bundesland auch auf die sinkende gesellschaftliche Akzeptanz für Religion.
Religion ist das einzige Schulfach, das im Grundgesetz ausdrücklich erwähnt wird. In Artikel 7, Absatz 3, heißt es: „Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen mit Ausnahme der bekenntnisfreien Schulen ordentliches Lehrfach.“ Religion ist außer in Bremen, Brandenburg und Berlin ordentliches Lehrfach mit Noten, aber es kann auch ein Ersatzfach gewählt werden, wenn die Schulen Alternativen anbieten – je nach Bundesland zum Beispiel Werte und Normen, Ethik oder Philosophie. Im Schuljahr 2023/24 nahmen nach Zahlen der Kultusministerkonferenz in den Klassen 1 bis 10 bundesweit 1,9 Millionen Kinder und Jugendliche am evangelischen und 1,7 Millionen am katholischen Religionsunterricht teil. Im Vergleich zu 2015/16 sank der Anteil der Schülerinnen und Schüler im evangelischen Religionsunterricht von 35,2 auf 28,5 Prozent und im katholischen Religionsunterricht von 33,6 auf 25,2 Prozent.
„Das religiöse Wissen geht zurück“
Immer weniger Kinder gehören noch einer der beiden großen christlichen Kirchen an und besuchen den konfessionellen Religionsunterricht, auch getaufte Kinder kennen immer seltener die Unterschiede zwischen den Konfessionen – einige der Gründe, warum in Niedersachsen ab kommendem Schuljahr das neue Fach „Christliche Religion nach evangelischen und katholischen Grundsätzen“ in allen 1. und 5. Klassen eingeführt und danach schrittweise auf die weiteren Klassenstufen ausgeweitet wird. Es ersetzt evangelische bzw. katholische Religion. „Die Kinder wissen oft gar nicht, ob sie evangelisch oder katholisch sind. Das religiöse Wissen und die Verbindung zu den Kirchengemeinden geht zurück, die Unterschiede zwischen den Konfessionen spielen in der Praxis oft keine Rolle“, sagt Silke Leonhard, Rektorin des Religionspädagogischen Instituts Loccum bei Hannover.
Keinen Glauben eintrichtern
Das neue, interreligiöse Fach soll die Gemeinsamkeiten der christlichen Kirchen betonen, ohne die Unterschiede zu verschweigen. „Der Religionsunterricht wird ökumenischer, seine Bedeutung wächst“, sagt Leonhard und fügt hinzu: „Alle Kinder sind dazu eingeladen, nicht nur die christlichen. Es geht nicht darum, ihnen einen bestimmten Glauben einzutrichtern, sondern sie zum Nachdenken und Fragen über existenzielle Dinge zu bringen.“ Niedersachsen ist das erste Bundesland, das diesen Weg geht – nicht zuletzt aus praktischen Gründen, weil in vielen Regionen des weitgehend protestantisch geprägten Bundeslandes wenige Katholiken leben und es für den katholischen Religionsunterricht nur wenige Kinder gibt.
KoKo: Konfessions-kooperierender Unterricht
In Nordrhein-Westfalen läuft neben dem herkömmlichen evangelischen und katholischen Religionsunterricht seit 2018 ein Modell, bei dem Kinder verschiedener Konfessionen gemeinsam den Religionsunterricht besuchen und dabei abwechselnd von einer evangelischen und einer katholischen Lehrkraft unterrichtet werden. Auch in Baden-Württemberg, Hessen und Schleswig-Holstein gibt es Erfahrungen mit konfessions-kooperierenden Unterricht. „Koko ist ein gutes Konzept, aber schwer zu realisieren. Weil Fachkräfte fehlen, klappt das mit dem Wechsel oft nicht und eine katholische oder evangelische Lehrkraft unterrichtet ein Schuljahr lang eine gemischt-konfessionelle Klasse“, sagt Marcus Hoffmann, Lehrer für katholische Religion am Ratsgymnasium in Münster und Vorsitzender des Bundesverbandes katholischer Religionslehrer und -lehrerinnen an Gymnasien.
Studie: Gemeinsamkeiten vs. Unterschiede
Miriam Zimmermann und Ulrich Riegel, Professoren für Religionspädagogik an der Uni Siegen, haben in einer Befragung von rund 13 000 Schülerinnen und Schülern in NRW sowie von Lehrkräften und Eltern die Akzeptanz dieses ökumenischen Modells unter die Lupe genommen. Dabei fällt auf, dass es bei den Antworten der Kinder und Jugendlichen aus dem Koko-Religionsunterricht nur wenige Unterschiede zu denjenigen gibt, die den evangelischen bzw. katholischen Religionsunterricht besuchen. Wer den gemischt-konfessionellen Unterricht erlebt hat, begrüßt eher, wenn die Gemeinsamkeiten der christlichen Konfessionen betont werden. Wer den getrennten Unterricht besucht, findet es positiver, wenn die Lehrkraft sagt, dass sie an Gott glaubt. Ansonsten sind die Antworten beider Gruppen eindeutig: Insgesamt nur acht Prozent würden es befürworten, wenn die Lehrkraft Schüler vom Glauben überzeugen will. Nur knapp jeder Dritte findet es gut, wenn im Unterricht Beten und Segnen ausprobiert wird. „Ob man deshalb im Koko-Religionsunterricht lieber gänzlich auf solche unterrichtlichen Formen verzichten sollte, wie das z.B. in Schleswig-Holstein schon weitgehend Realität ist, gilt es zu diskutieren“, schreiben Zimmermann/Riegel.
Neutral über Glauben, Zweifel und Sinnsuche sprechen
Bei der Frage nach der bevorzugten Organisationsform favorisiert eine Mehrheit der Schülerinnen und Schüler weder die traditionelle Trennung nach Konfessionen noch den konfessions-kooperierenden Unterricht, sondern den Verbleib im gewohnten Klassenverband – in vertrauter Runde lässt es sich für viele am einfachsten über persönliche Dinge wie den Glauben, aber auch Zweifel und Sinnsuche sprechen.
In diese Richtung geht das Brandenburger Fach LER. Die Buchstaben stehen für Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde. Im Gegensatz zu den meisten anderen Bundesländern soll hier neutral über Religion informiert werden. Von LER kann man sich befreien lassen, wenn man sich für den Religionsunterricht entscheidet. Zuletzt machten davon aber nur 6,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler Gebrauch.
In Berlin ist der Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend, nachdem es 2009 bei einem Volksentscheid für ein gefordertes Wahlpflichtfach Religion keine Mehrheit gab. Evangelische oder katholische Religion kann man nur als zusätzliches freiwilliges Fach wählen. Derzeit fordert die regierende Berliner CDU allerdings die Einführung des Brandenburger Modells an Berliner Schulen, der Koalitionspartner SPD ist dagegen.
Jüdischer und islamischer Religionsunterricht
In Hamburg besteht ein gemeinsamer Religionsunterricht für alle, der auch Juden, Muslime und Aleviten miteinbezieht. Der Trend bei der Vermittlung der Grundzüge des Koran geht aber in die andere Richtung: Durch die staatliche Ausbildung von islamischen Religionslehrkräften wird an immer mehr Schulen Islamunterricht angeboten. An ihm nahmen im vergangenen Jahr rund 50 000 muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland teil. In Niedersachsen gibt es derzeit an zwei Schulen jüdischen und an 75 Schulen islamischen Religionsunterricht. Dieses Angebot wird auch nach Einführung des Faches Christlicher Religionsunterricht weitergeführt.
Missionarische Strömungen in den sozialen Medien
In Ostdeutschland, wo sich nur eine Minderheit zum christlichen Glauben bekennt, wird der Religionsunterricht nicht selten kritisch beäugt und die Frage gestellt, was er überhaupt an der Schule verloren habe – Religion sei doch Privatsache. Hoffmann hält dagegen gerade dort, wo das religiöse Wissen gering ist, die Beschäftigung mit Glaubensfragen für wichtig: „Missionarische Gemeinschaften und evangelikale Strömungen sind in den sozialen Medien sehr aktiv und erreichen dort viele junge Menschen mit ihren einfachen Botschaften. Ihnen dürfen wir nicht einfach das Feld überlassen, denn die Welt ist komplizierter.“
Text: Joachim Göres
Kompakt
Angesichts sinkender Schülerzahlen im konfessionell getrennten Religionsunterricht führt Niedersachsen ab dem Schuljahr 2025/26 das neue Fach Christliche Religion ein, in dem evangelische und katholische Kinder und Jugendliche gemeinsam unterrichtet werden. Es soll die Gemeinsamkeiten der christlichen Religionen betonen, ohne die Unterschiede zu verschweigen. Auch in anderen Bundesländern wie Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg wird vereinzelt ökumenischer Religionsunterricht angeboten – Niedersachsen ist nun der Vorreiter, der konfessions-kooperierenden Religionsunterricht schrittweise in allen Schulen zur Pflicht macht. Für nicht religiöse Lernende gibt es weiterhin das Fach Werte und Normen.
Der Ernst Klett Verlag unterstützt Lehrkräfte in Niedersachsen inhaltlich und didaktisch bei der Einführung des neuen Fachs. So entsteht aktuell in einem gemischt-konfessionellen Team das neue Lehrwerk Moment mal! Christliche Religion für Mittlere Schulformen und das Gymnasium. Weitere Informationen im Reli-Ethik Blog.