Künstliche Intelligenz ist ein hochdynamisches Feld, in dem sich Begriffe und Technologien teils schneller verändern, als sie in Lehrmaterialien ankommen. Für Lehrkräfte bedeutet das: absolute Orientierungssicherheit ist kurzfristig kaum möglich – aber es gibt praktikable Wege, um dennoch fundiert zu unterrichten. Dazu gehört etwa der neue Lernkurs „KI verstehen“ des Ernst Klett Verlags. Im Interview diskutieren der Wissenschaftler Max Landefeld vom Fraunhofer IAIS und Klaas Wiggers, stellvertretender Schulleiter, wie KI das Lernen verändert und warum der Einsatz von KI ein gemeinsames Projekt von Schule, Wissenschaft und Wirtschaft sein muss.

Lehrkräfte müssen nicht alles wissen. Aber wie können Lernarrangements zum Thema Künstliche Intelligenz gestaltet sein, wenn Lehrkräfte selbst noch Lernende sind?

Klaas Wiggers: Künstliche Intelligenz ist für Lehrkräfte eine neue Herausforderung, der sie sich täglich bei der Besprechung von Hausaufgaben gegenübersehen und die in ihrem eigenen Studium – noch keine Rolle spielte. Das führt dazu, dass Lehrkräfte zeitgleich KI-Zukunftskompetenzen an ihre Schüler vermitteln wollen, dafür aber erst selbst Wissen aufbauen müssen. Lernarrangements müssen diesem Spagat entsprechen: Es darf nicht allzu viel Wissen der Unterrichtenden vorausgesetzt werden, die Inhalte sollten aber bereits weit über die Frage „Wie funktioniert das Prompting bei generativer KI?“ hinausgehen.

Sie haben beide an dem digitalen Lernkurs „KI verstehen“ mitgewirkt. Was macht ihn zu einem gelungenen Einstieg in das Thema Künstliche Intelligenz – für Lehrkräfte und Lerngruppen gleichermaßen?

Der eCourse verfügt über interaktive Übungen, z.B. Lückentexte zur Geschichte der Künstlichen Intelligenz

Der eCourse „KI verstehen“ vermittelt Grundlagen und Anwendungen von Künstlicher Intelligenz mit Hilfe verschiedener Medienbausteine wie interaktive Übungen, Programmierumgebungen oder Videos.

Max Landefeld: In diesem Kurs werden die grundlegenden Konzepte der Künstlichen Intelligenz behandelt – darunter die Unterscheidung zwischen Machine Learning und Deep Learning, der Aufbau künstlicher neuronaler Netze, die Funktionsweise von Fundamentalmodellen sowie ethische Fragestellungen und Zukunftsperspektiven. Das ermöglicht sowohl für Lehrkräfte als auch für Schülerinnen und Schüler einen kompakten Einstieg in das Thema.

Wiggers: Lehrkräfte stehen derzeit an einer Weggabelung: 1. Sie können schnell KI-Kompetenzen aufbauen und diese anschließend souverän an ihre Schüler:innen weitergeben. 2. Sie können mit ihren Schüler:innen eine Lerngemeinschaft bilden und sich dem vielschichtigen Thema KI gleichberechtigt nähern – ohne dass die Lehrkraft einen Wissensvorsprung hat. Beide Wege sind mit dem „eCourse KI verstehen“ von Klett möglich. Ich kann mir die Inhalte zunächst im Selbststudium aneignen, durch weitere digitale Lernangebote – wie KI-Campus – erweitern und meine Schüler:innen anschließend durch den Lernkurs begleiten. Ebenso ist möglich, diesen gemeinsam zu durchschreiten. Am Ende des eCourses ist in jedem Fall ein Wissensfundament aufgebaut, das eine Vertiefung ermöglicht – realistisch ab Klassenstufe 7.

Sind Schulen und Lehrkräfte bereits ausreichend auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Unterricht vorbereitet?

Landefeld: Häufig sind sie das noch nicht. Das Thema wird noch sehr oberflächlich in den Lehrplänen behandelt, obwohl generative KI-Chatbots bereits weitreichend im schulischen Kontext eingesetzt werden – insbesondere von Schüler:innen und häufig verdeckt unter dem Tisch. Ebenso bieten Universitäten im Regelfall bislang keine strukturierte und weitreichende Ausbildung für Lehramtsanwärter:innen dazu an. Hier besteht großer Nachholbedarf.

Glücklicherweise etablieren sich immer mehr Anbieter für KI-Fortbildungen und Lehrangebote sowie Unternehmen, die schul- und datenschutzkonforme KI-Services für Schulen anbieten, auf dem Markt. Das ist ein positiver Trend. Nichtsdestotrotz gibt es hier noch viel Luft nach oben. Wichtig ist, dass Lehrkräfte sich fortlaufend und auf unbestimmte Zeit zu diesen technologischen Entwicklungen weiterbilden, das geht auch über generative KI hinaus. Das Gleiche gilt für Schüler:innen und für alle anderen. Das Stichwort ist Lifelong Learning. Die Zeiten, in denen man einen Beruf erlernt und diesen über Jahrzehnte unverändert ausübt, sind vorbei.

„Die Vielfalt an interaktiven Übungen, die der eCourse KI verstehen bietet, ist in Deutschland derzeit einzigartig.“ Klaas Wiggers

Welche Vorbereitung und Fortbildung benötigen Lehrkräfte, um den eCourse „KI verstehen“ oder KI allgemein einsetzen zu können?

Wiggers: Voraussetzungen für den „eCourse“ sind lediglich eine ausreichende Motivation, sich dem KI-Themenkomplex zu widmen – in dem Wissen, dass ich mich vielleicht erstmals nach dem Studium wieder in einer Lernendenrolle wiederfinde, die in dieser Tiefe ggf. längere Zeit zurückliegt. Wichtig ist anzumerken, dass sich der Lernkurs nicht bzw. nicht nur an Informatiklehrkräfte richtet. Jede Lehrkraft sollte sich in dieses Thema einarbeiten und kann dies nun sehr gelungen tun.

Welche Rolle spielt Künstliche Intelligenz bereits heute im schulischen Alltag – und was bedeutet das für das Bildungssystem?

Landefeld: KI ist bereits in der Schule angekommen, das ist keine Zukunftsmusik mehr: Eine Umfrage der Vodafone Stiftung aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass etwa zwei Drittel der Schüler:innen im Alter von 14 bis 20 Jahren KI bereits regelmäßig im schulischen Kontext einsetzen, beispielsweise für das Übersetzen von Texten, die Recherche oder das Lösen von Matheaufgaben. Die Verbreitung des Internets verbunden mit der weitreichenden Nutzung mobiler Endgeräte war der erste große Gamechanger für die Schule; generative KI ist der zweite.

Sie verändert etwa die Art und Weise, wie Schüler:innen lernen, die Bedeutung von Fachwissen, die Mediennutzung und hat elementaren Einfluss auf die kognitive Entwicklung von Schüler:innen. Diese Entwicklungen müssen in der Lehramtsausbildung, in den Lehrplänen, in den Lehr- und Lernangeboten (print und digital) berücksichtigt werden. Hier bedarf es Kooperationen zwischen Schule, Politik, Industrie und Wissenschaft. KI ist ein Teamsport.

Welche Potenziale, aber auch Gefahren sehen Sie beim aktuellen Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Schule?

Wiggers: Die Potenziale von Künstlicher Intelligenz kann ich nur für die Gegenwart beantworten – selbst ein Blick in eine nur sechs Monate entfernte Zukunft wäre aufgrund der Entwicklungsgeschwindigkeit vermessen. Künstliche Intelligenz kann zu mehr Bildungsgerechtigkeit führen, wenn wir an tutorielle Systeme denken. Künstliche Intelligenz kann Schüler:innen bei der Weiterentwicklung ihrer sprachlichen Fähigkeiten helfen, wenn sie sich reflektiert beim Schreibprozess helfen lassen. Künstliche Intelligenz kann zur Entlastung von Lehrkräften beitragen, wenn wir datenschutzkonforme Wege zur Korrektur von Klassenarbeiten bereitstellen. Künstliche Intelligenz kann bei neuen Themen Neugier wecken und Wissenserwerb erleichtern. Künstliche Intelligenz kann dafür sorgen, dass Schulen, Behörden, Wirtschaft, Industrie und Start-Ups gemeinsam an einer Zukunftsorientierung der Bildungslandschaft arbeiten.

Gefahren halte ich für einen unangemessenen Begriff. Wir stehen Herausforderungen gegenüber beim Datenschutz, bei der Abhängigkeit von nicht-europäischen Anbietern und bei unreflektiertem Einsatz von KI. Eine spannende Aufgabe wird sein, Schüler:innen die Bedeutung von Wissenserwerb zu vermitteln, ohne den der Output von generativer KI nicht angemessen einzuschätzen ist. Ich ende mit einem Wunsch: Künstliche Intelligenz sollte schnellstens so angewendet werden können, dass die Schulorganisation, insbesondere die Erstellung von Stundenplänen, sich rasant vereinfacht.

Interview: Stephan Lüke

Zu den Personen

Klaas Wiggers ist Stellvertretender Schulleiter am Gymnasium an der Willmsstraße in Delmenhorst. Er unterrichtet bereits seit 2020 Oberstufenkurse in Künstlicher Intelligenz. Er veranstaltet regelmäßig KI-Camps für Schüler, leitet ein deutschlandweites Netzwerk von MINT-Schulen zum Thema KI und hat die Initiative #I_make_AI gegründet. Er hat den Ernst Klett Verlag bei der inhaltlichen Entwicklung des Lernkursus beraten.

Max Landefeld arbeitet am Fraunhofer IAIS und koordiniert die Initiative AI4Schools. Diese widmet sich der Gestaltung von Bildungsangeboten rund um das Thema KI für Schulen. Er engagiert sich leidenschaftlich für die Entwicklung vertrauenswürdiger, nachhaltiger und niedrigschwelliger KI-Systeme. Die Wissenschaftler:innen vom Fraunhofer IAIS und vom Lamarr-Institut haben die Inhalte des Lernkurses „KI verstehen“ auf wissenschaftliche Korrektheit überprüft.