Klett-Themendienst Nr. 99 (04/2021)

Künftige Landwirte lernen in einem Marketing-Projekt ihrer Berufsschule, wie sie neue Produkte selbstständig entwickeln und erfolgreich vermarkten können. Dadurch verstehen sie nicht nur das Schulfach Marketing besser, sondern setzen sich auch mit neuen Erwerbsmodellen abseits der landwirtschaftlichen Massenproduktion auseinander.

Auf dem großen Foto blicken vier junge Rinder den Betrachter an, darüber steht in fetten Buchstaben „Rindfleisch der Extraklasse“. Wer genaueres wissen will, bekommt auf der ersten Seite des Werbeflyers in kurzen Stichworten weitere Informationen: Es handelt sich bei den Tieren um Limousin-Rinder, die ganzjährig in der nahen Umgebung auf der Weide stehen. Hohe Fleischqualität durch extensive Fütterung wird versprochen. Es folgen auf den nächsten Seiten ein „Rezept nach Großmutters Art“ mit einem Foto des Gerichts, die Preise für ein Fleischpaket (4-5 kg für 18,50 Euro pro Kilo) sowie für verschiedene Einzelteile plus die Bestelladresse. Zwischen diesen Informationen findet sich der Satz: „Wir sind die Albrecht-Thaer-GbR der einjährigen Fachschule Agrarwirtschaft.“

Dahinter verbergen sich Schüler:innen der Berufsbildenden Schule 3 in Celle, die nach einer landwirtschaftlichen Ausbildung mit dem erfolgreichen Abschluss der einjährigen Fachschule Agrarwirtschaft an der BBS den Titel „staatlich geprüfte/r Wirtschafter/in“ erwerben wollen – eine Voraussetzung, um später als Landwirt EU-Fördermittel zu bekommen. Sie haben den Flyer ausgearbeitet, als Teil eines umfassenden Projektes im Fach Marketing: Zum Beginn des Schuljahres haben die jungen Erwachsenen – 17 Männer, 4 Frauen – eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts gegründet, in der jeder 250 Euro einzahlt. Mit diesem Geld werden der Kauf und die Haltung der Tiere sowie die Verarbeitung und die Vermarktung des Fleisches finanziert. Das Ziel: Die Lernenden sollen so selbstständig am praktischen Beispiel erfahren, welche Vorüberlegungen und Tätigkeiten wie Kostenkalkulation und Werbung notwendig sind, um ein neues Produkt erfolgreich zu vermarkten.

Tierwohl, regional und nachhaltig

„Wir haben in der Klasse diskutiert, was die Vor- und Nachteile bei der Haltung verschiedener Tierarten sind. Letztlich blieben drei Vorschläge übrig, über die wir abgestimmt haben“, berichtet Schülerin Antonia Schaprian und fügt hinzu: „Wir haben eine Kaufsumme von maximal 4000 Euro festgelegt und mehrere aus unserer Klasse sind dann zu einer Auktion gefahren, wo sie vier weibliche Rinder aus einer Limousin-Kreuzung ersteigert haben.“ Für diese Rinderrasse entschied sich die Klasse, weil sie robust ist und das ganze Jahr über draußen in einem möglichst natürlichen Lebensumfeld gehalten werden kann. Ein Schüler stellte dafür die große Weide seines elterlichen Betriebes zur Verfügung, so dass viel Auslauf gewährleistet war. „Für uns war am wichtigsten, dass die Tiere regional produziertes Futter bekamen“, sagt Schaprian.

Zudem lege man auf die ortsnahe Schlachtung Wert, um den Tieren den Stress langer Transporte zu ersparen. Das komme neben der Umwelt auch der Qualität des Fleisches zu Gute. Die Klasse musste auch praktisch mit anpacken, beim Entwurmen der Rinder, dem Ausmisten der Ställe und dem Reparieren der Weidezäune. Dabei bekamen die Tiere von den Schülerinnen und Schüler die Namen Gudrun, Hildegard, Eva und Erna. „Es ist schon ein komisches Gefühl, dass wir sie dann schlachten lassen, doch das haben wir guten Gewissens getan, denn wir wissen, dass sie ein gutes Leben hatten“, betont die 23-Jährige.

Gewinnversprechen: Die Kopplung von Preis und Qualität

Im Marketing-Unterricht wurde das Projekt theoretisch begleitet. Dabei ging es in den wöchentlich zwei Stunden um Themen wie Produktpolitik, wo man sich Gedanken über die Besonderheit des eigenen Produktes und die mögliche Kunden-Zielgruppe machte. Beim Thema Preispolitik wurde besprochen, wie man einen realistischen Verkaufspreis ermitteln kann und welche Erwartungen man an einen möglichen Gewinn hat. In der Kommunikationspolitik setzte man sich damit auseinander, mit welchen Mitteln und Informationen man die potenziellen Kunden erreichen kann. Dabei orientierte man sich beim Aufbau des selbst entwickelten Flyers am AIDA-Marketingmodell: Attention (Aufmerksamkeit erzeugen) – Interest (Interesse wecken) – Desire (Begehrlichkeiten auslösen) – Action (Möglichkeit zum Handeln geben). Was beim Absatz des Produktes beachtet werden muss – so sollte das Fleisch eingeschweißt sein, damit es eingefroren werden kann – spielte in der Distributionspolitik eine Rolle.

„Für viele Schüler war es erstaunlich zu sehen, dass man für ein besonderes Produkt einen höheren Preis verlangen kann, der auch gezahlt wird. Viele sind von ihren elterlichen Höfen gewohnt, dass der Landwirt die Preise diktiert bekommt und nur über die Massenproduktion auf sein Geld kommt“, sagt Rainer Wyrwich, der an der Fachschule Agrarwirtschaft Politik und Marketing unterrichtet und seit mehreren Jahren das Marketing-Projekt in seinen Unterricht integriert. Dabei muss er nicht selten seine Klasse ermutigen, ruhig kräftig auf die Werbetrommel zu schlagen und zum Beispiel nicht einfach Rindfleisch, sondern Gourmetfleisch anzubieten. Er freut sich, wenn Schülerinnen und Schüler merken, dass gute Haltebedingungen sich durch bessere Fleischqualität auszahlen kann und sie sich eher Gedanken darüber machen, wie ein höherer Preis zum Beispiel über eine Direktvermarktung möglich sein könnte. „Es ist toll, dass man im Projekt einen trockenen Stoff konkret umsetzen kann. Die reine Marketing-Theorie bereitet vielen in Klausuren Probleme“, sagt Wyrwich. Neben Fleisch von speziellen Rinder- und Schweinerassen wurde auch schon Schafsfleisch oder Apfelsaft vermarktet. Meist wurde ein Gewinn erzielt und unter den Lernenden aufgeteilt. Ein Minus gab es noch nie.

Auch Antonia Schaprian ist zufrieden. Trotz der Beschränkungen durch Corona – auf den Druck des ausgearbeiteten Flyers wurde letztlich verzichtet, weil es durch die Geschäftsschließungen nur wenig Möglichkeiten zur Auslage gab – meldeten sich bei ihr nach einem Zeitungsartikel genügend Kunden für die von der Klasse abgepackten Fleischpakete, Beinscheiben, Filets, Bratwürste und Roastbeefstücke. Schaprian: „Viele haben erfreut bei uns angerufen und gesagt: ‚Das ist mal was Besonderes, das bestelle ich gerne.‘ Für uns ist das eine Bestätigung.“

Autor: Joachim Göres

Kompakt
Marketing gehört zu den fachspezifischen Unterrichtsfächern für die SchülerInnen der einjährigen Fachschule Agrarwirtschaft an der Berufsbildenden Schule 3 in Celle. Seit vielen Jahren führen die Schulklassen selbstständig Marketing-Projekte durch. Dafür entwickeln sie eine Geschäftsidee, zahlen 250 Euro in eine von ihnen gegründete GbR ein, kaufen für das Geld Tiere, kümmern sich um deren Aufzucht und organisieren nach rund sechs Monaten die Schlachtung und Vermarktung des Fleisches. Auf diese Weise beschäftigen sich die angehenden Landwirte praktisch mit Marketing-Theorien.

Buchtipp:
Marketing und Nachhaltigkeit sind Themen des Wirtschaftsunterrichts an Berufsbildenden Schulen. Das Lehrwerk Wirtschaft kompetent (978-3-12-883525-9) konzentriert sich dabei auf konkrete berufsbezogene Problemstellungen und fördert das eigenständige Lernen. Weitere Infos unter: https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-883525-9?searchQuery=883525