Klimawandel, Pandemie oder KI – Wie macht man Schülerinnen und Schüler fit für die globale Gesellschaft? Damit beschäftigt sich das Modell der 4 Cs: Weitere Kompetenzen erweisen sich als wichtig für unsere Zeit. In der Neuausgabe von „Green Line Oberstufe“ sind die „21st century skills“ nun als Lehrgang integriert. Ein Gespräch mit der Autorin Louise Carleton-Gertsch.
Frau Carleton-Gertsch, von den 4 Cs dürften die meisten schon gehört haben – aber vielleicht nicht, wie dieses Modell entstanden ist. Können Sie uns etwas dazu erzählen?
Im Jahr 2002 entwickelten in den USA Vertreter:innen aus Wirtschaft, Pädagogik und Politik das „P21 Framework for 21st century Learning“. Darin definierten sie die Expertise, die junge Menschen benötigen, um in der heutigen automatisierten und digitalisierten Welt zu arbeiten, leben und als Bürger:innen verantwortungsvoll teilzunehmen. Sie hatten erkannt, dass das bisher Vermittelte dafür nicht ausreicht. Also stellten sie die entsprechenden Anforderungen auf und leiteten daraus unter anderem die 4 Cs ab, als die „Learning and innovation skills“: Critical thinking, Creativity, Collaboration und Communication. Natürlich waren diese Qualifikationen schon immer da und wichtig. Nun erhielten sie aber ein neues Gewicht.
Wann kam das Modell nach Deutschland?
Das war 2010, als der Bildungsforscher Andreas Schleicher auf der Website der OECD einen viel beachteten Artikel (https://www.oecd.org/general/thecasefor21st-centurylearning.htm) veröffentlichte. Darin zeigte er auf, wie zentral die 4 Cs in der sich immer schneller verändernden Welt des 21. Jahrhunderts sind. Er schrieb, dass Schulen nicht länger davon ausgehen können, dass das, was sie vermitteln, den Menschen für ihr ganzes Leben reichen wird. Weil sie Jobs ausüben werden, die es noch nicht gibt, mit noch nicht erfundenen Technologien. Und dass sie Qualitäten besitzen müssen, um bis zu diesem Zeitpunkt unbekannte Probleme zu bewältigen.
Probleme, von denen inzwischen einige sichtbarer geworden sind …
So ist es. Bei komplexen Herausforderungen wie dem Klimawandel etwa, der Migration, der Pandemie und den Kehrseiten von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz können wir nicht auf Lösungsstrategien aus der Vergangenheit zurückgreifen. Dafür braucht man zum Beispiel neue Ansätze für den Umgang mit der Informationsflut. Man kann nicht länger nur fragen „Was?“ und vielleicht noch „Wie?“. In Zeiten von Fehl- und Falschinformationen gilt es auch, das „Wer?“ und „Warum?“ herausfiltern zu können und sich kritisch damit auseinanderzusetzen.
Wir müssen uns bewusst sein, dass wir nie auslernen und dass junge Leute auf das lebenslange Lernen vorbereitet werden sollen. Damit wir alle immer wieder über den Tellerrand des bisher angeeigneten Wissens hinausschauen.
Wie sind Sie selbst zum Thema 4 Cs gekommen?
In meiner inzwischen langjährigen Tätigkeit als Autorin, Beraterin und Speaker komme ich viel im Bildungswesen des angelsächsischen und deutschsprachigen Raums herum. Die 4 Cs tauchen dabei schon länger auf. In den letzten Jahren sind sie präsenter geworden. Ich habe mich in das Thema vertieft und durfte feststellen, dass das Modell wächst. Der Podcast, den ich ganz neu in Zusammenarbeit mit Ernst Klett Sprachen mache, heißt deshalb „Teaching English today – the 4 Cs and beyond“ – er geht also über die vier Schlüsselkompetenzen hinaus.
Was gehört demnach noch zu den „21st century skills“?
Über alles möchte ich Curiosity stellen, die Neugier. Sie bildet die Grundlage für jede Weiterentwicklung – auch für das lebenslange Lernen. Weiter sind Citizenship und Empathy wichtig. Wie werden Menschen zu mündigen und engagierten Bürgern mit einem respektvollen, einfühlsamen Umgang? Wie lernen sie, die richtigen Fragen zu stellen und aktiv zuzuhören? In diversen Teams zu arbeiten? Prioritäten zu setzen? Keine Angst vor Fehlern zu haben, sondern daraus zu lernen? Und, ganz wichtig: Wie entwickeln sie Passion und Grit – die Leidenschaft und Ausdauer, um etwas durchzuziehen? Dieses Vermögen wird oft sogar höher gewertet als Talent. Auch Agency ist zentral: die Fähigkeit und der Wille, sein Leben in die Hand zu nehmen und die Welt um sich herum zu beeinflussen. So kommt ein Puzzleteil zum nächsten.
Nun gilt es also, die „4 Cs and beyond“ fokussierter in die Schulbildung zu integrieren?
Genau. Und dieses Training macht nicht nur die Kinder und Jugendlichen fitter für ihr Erwachsenenleben, sondern ist auch gut für die Atmosphäre und das Miteinander an der Schule. Das Umfeld wird für alle besser, das Lernen spannender und relevanter.
In der Weiterbildung von Lehrkräften sind diese „21st century skills“ bereits Thema. Aus meiner Sicht müssten sie in den Bildungsplänen stärker verankert werden – und ich freue mich natürlich, wenn sie in Lehrmittel einfließen.
Sie haben das als Autorin in der soeben erschienenen Neuausgabe des Englischlehrwerks „Green Line Oberstufe“ umgesetzt. Wie?
Wir haben es mit einem integrierten Lehrgang gelöst. Jedes Kapitel enthält eine oder zwei Seiten mit Anregungen und Übungen (siehe abgebildetes Beispiel) – in dem Fall zu: Curiosity, Critical thinking, Creativity, Collaboration, Communication anhand von Presentations, Media literacy, Citizenship, Empathy und Intercultural competence.
Dies sind ziemlich viele Kompetenzen, die es zu erwerben gilt. Überfordert das die Lernenden nicht?
Nein, denn manche dieser Kompetenzen sind bereits im Unterricht integriert. Dazu kommt, dass alle miteinander zusammenhängen und dass jeder Mensch sie entwickeln kann. Die Kompetenzen müssen nur spannend vermittelt und immer wieder trainiert werden – wie ein Muskel.
Autorin: Theresia Schneider
ZUR PERSON
Die gebürtige Britin Louise Carleton-Gertsch lebt in München. Sie ist seit über 25 Jahren im Bildungswesen und digitalen Bereich tätig, seit 20 Jahren als Autorin, Beraterin und Speaker unter dem Namen LCG Media for Learning – so auch für Verlage der Klett Gruppe. http://www.lcg-media.com
Kompakt
Critical Thinking, Creativity, Collaboration und Communication – das sind die vier Schlüsselkompetenzen des bekannten Modells der 4 Cs. In Anbetracht der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts werden diese Kompetenzen immer wichtiger – und ergänzt, etwa um Curiosity, Citizenship und Empathy. Die Autorin Louise Carleton-Gertsch verfasste für „Green Line Oberstufe“ einen integrierten Lehrgang zu dem Thema. Sie hat zudem den Podcast „Teaching English today – the 4 Cs and beyond“ ins Leben gerufen, der auf allen gängigen Podcast-Plattformen abrufbar ist. Er richtet sich primär an Englischlehrkräfte, bietet aber auch Informationen und Anregungen für alle anderen Interessierten.
Buchtipp:
Das neue Englisch-Lehrwerk Green Line Oberstufe, NRW 2021, ISBN: 978-3-12-550002-0, enthält erstmals einen „21st century skills“-Lehrgang, der Schülerinnen und Schüler dazu anregt, sich kritisch mit gesellschaftlichen Herausforderungen wie Critical thinking, Media literacy oder Collaboration auseinanderzusetzen. Weitere Informationen unter: https://www.klett.de/produkt/isbn/978-3-12-550002-0?searchQuery=550002